Kurt Eisemann – Die Macht der Mathematik

Wie Albert Einstein einem aus Nürnberg vertriebenen Juden half

Kurt Eisemann wurde 1923 als Sohn des jüdischen Arztes Dr. Lazarus Eisemann und seiner Frau Lina in Nürnberg geboren. Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten verlor der Mediziner seine Kassenzulassung und war gezwungen, seine Praxis zu schließen. Die Familie flüchtete aus der Stadt der Reichsparteitage, zunächst nach Frankreich und später nach Palästina. Obwohl Lazarus Eisemann in Jerusalem wieder eine Praxis eröffnen konnte, reichten die Einkünfte kaum zum Überleben. Daher versuchte die Familie für einige Jahre in der Landwirtschaft Fuß zu fassen. „Dafür war mein Vater jedoch völlig ungeeignet“, erinnert sich Sohn Kurt. Mit dem Verkauf von Kuhmilch und Hühnereier schlugen sich die Eisemanns mehr schlecht als recht durch.

Schon in früher Jugend war Kurt der Faszination der Zahlen erlegen. In seiner Freizeit verschlang er Mathematik-Lehrbücher und tauchte tief in die Welt von Algebra, Geometrie und den Geheimnissen der Differenzial- und Integralrechnung ein. „Alle anderen haben das gehasst. Für mich war es ein Vergnügen – eine Erleuchtung! Ich war verliebt in die Mathematik.“

Für den jungen Mann war klar: Er wollte studieren! Doch seine Eltern konnten ihm keine höhere Schule finanzieren. Ohne Abitur blieb Kurt jedoch eine akademische Ausbildung verwehrt. Mit Anfang Zwanzig machte er sich deshalb auf den Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um dort seinen Traum zu verwirklichen.

Doch auch in Amerika wollte keine Universität Kurt Eisemann als Mathematik-Student annehmen – ohne Hochschulreife. Trotz seiner umfangreichen Kenntnisse und seinem unbändigen Drang nach Wissen. Der Autodidakt verfügte mittlerweile über die Kenntnisse eines Universitätsprofessors, er konnte die kompliziertesten Brückenkonstruktionen berechnen, die kniffligsten Gleichungen lösen und die komplexesten Zahlentheorien analysieren. Um endlich doch an der Universität studieren zu können, gaben ihm Freunde einen ungewöhnlichen Rat: Wende dich an Albert Einstein.

Kurt Eisemann schrieb einen Brief an den berühmten Physiker und Mathematiker. Einstein antwortet am 13. Mai 1948 postwendend: „Ich sehe aus Ihrem Brief, dass Sie mit Leib und Seele Mathematiker sind, und möchte gerne dazu beitragen, dass Ihnen die Beendigung Ihres Studiums erleichtert wird.“ Eine persönliche Einladung erfolgt am 15. August 1948:

(Repro: nurinst-archiv/Sammlung Eisemann)

Noch Jahrzehnte später leuchteten die Augen von Kurt Eisemann, wenn er sich an dieses denkwürdige Ereignis aus dem Jahre 1948 erinnert. „Eine Einladung an mich, den kleinen Einwanderer, der mittellos nach Amerika gekommen war. Das war für mich einfach unglaublich, es war einer der größten Tage in meinem Leben!“

Kurt Eisemann (2. v. l.) mit Kollegen und Albert Einstein an der Princeton University 1952. (Repro: nurinst-archiv/Sammlung Eisemann)

Diverse Empfehlungsschreiben von Einstein an einige Bildungseinrichtungen öffnen dem jungen Emigranten nun endlich die lang verschlossenen Türen: Ohne Abitur gelang Kurt Eisemann ein Abschluss an der renommierten Yeshiva University, mit „summa cum laude“, der Schlagzeilen in der jüdischen Presse Nordamerikas macht: „Embryo Einsteins graduiert in zwei Jahren“, titelte etwa der Jewish Examiner. „Das war reine Zeitungsmache“, kritisiert Kurt Eisemann diese reißerische Schlagzeile. „Es war mir etwas peinlich, denn ich war kein Embryo Einsteins, ich war nur einer, der sich gesehnt hat, studieren zu dürfen. Das war alles!“

Der deutsch-jüdische Emigrant studierte am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) und erwarb anschließend den Doktortitel an der Harvard University. Auch wenn Kurt Eisemann jeden Vergleich mit seinem berühmten Förderer weit von sich weist, so verband ihn mit dem Nobelpreisträger doch eines: Beide, Kurt Eisemann und Albert Einstein, gehören mit einem Intelligenzquotienten von 160 zur kleinen Bevölkerungsgruppe der Genies.

Kurt Eisemann auf dem Campus der San Diego State University 2013. (Foto: Jim G. Tobias)

Später arbeitete Eisemann für internationale Computerfirmen und lehrte als Mathematik-Professor an verschiedenen Universitäten in den USA. Zuletzt unterrichtete Kurt Eisemann bis 1992 an der San Diego Universität, um auch dort seine Begeisterung und Liebe für die Mathematik an die junge Generation weiterzugeben. Doch ohne die Unterstützung von Albert Einstein wäre es nie so weit gekommen. Seinen Lebensabend verbrachte der rüstige und hellwache Pensionär im sonnigen US-Bundesstaat Kalifornien. Er starb kurz nach seinem 95. Geburtstag in seinem Haus in San Diego.

Quellen:

Interviews mit Kurt Eisemann, San Diego, nurinst-archiv.

Jewish Examiner, 26. Mai 1950.

Canadian Jewish Review, 2. Juni 1950.

Bernd Höffken, Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933, Berlin 2013.