„Ich habe wunderschöne zwei Jahre mit dem Club verbringen dürfen …“
„Der 1. Fußballklub Nürnberg geht am Juden zugrunde“, lautet die Schlagzeile in der Augustausgabe 1932 des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“. Gemeint war der ungarisch-jüdische Trainer des Vereins, Jenö Konrad, der seinerzeit zu den Fußball-Größen in Europa zählte. Jenö Konrad wurde 1894 im serbischen Städtchen Nemeth-Palanka geboren. Später zogen die Eltern nach Budapest, wo Jenö und sein Bruder Kalman 1908 dem Fußballverein Budapester AK beitraten. Ihr Talent für den Rasensport blieb nicht unbemerkt, sodass beide später für den MTK Budapest spielten, der 1914 ungarischer Meister wurde. Ein Jahr später wurde Jenö in die Nationalmannschaft berufen, in der Kalman bereits debütiert hatte. Kalman begeisterte als dribbelstarker Innenstürmer, Jenö galt als Stratege mit Tordrang. Nach einer Meniskusverletzung konnte Jenö den geliebten Sport nicht mehr aktiv ausüben und begann eine erfolgreiche Karriere als Fußballtrainer – zunächst bei Vereinen in Wien und Temesvar (Rumänien), bevor ihn schließlich ab 1930 der 1. FC Nürnberg unter Vertrag nahm.
Der „Club“, wie der Verein traditionell genannt wird, war mit fünf Fußball-Meisterschaften in den 1920er-Jahren die erfolgreichste Elf Deutschlands. Der Fußball hatte sich in dieser Zeit europaweit zu einem Sport entwickelt, der die Menschen begeisterte – quer durch alle Nationalitäten, Religionen und Ideologien. Schon vor der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten wurde der Fußball daher auch zu einem wichtigen Feld der Propaganda. Ein jüdischer Trainer passte nicht in das antisemitische Klischee des von den Nazis entworfenen Bilds des jüdischen, degenerierten Untermenschen. Denn „ein Jude ist ja auch als wahrer Sportsmann nicht denkbar. Er ist nicht dazu gebaut mit seiner abnormen und missratenen Gestalt“, hetzte der Stürmer gegen den „durch jüdische Gazetten hochgepriesenen Konrad“ und forderte ultimativ: „Gib deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch, dann wirst Du wieder gesund.“
Die Kampagne verfehlte ihre Wirkung nicht. Am 5. August 1932 verließ Jenö Konrad mit seiner Frau Grete und Tochter Evelyn Nürnberg in Richtung Wien. Der Stürmer triumphierte: „Jud Konrad ist abgedampft“, meldete das Blatt. „Er hat genug von Nürnberg. Er fuhr ab und ward nicht mehr gesehen.“ Trotz der medialen antisemitischen Hetze bedauerte die Vereinsleitung den Weggang ihres Trainers: „Mit aufrichtiger Rührung haben die Anwesenden einen untadeligen Menschen von sich gehen sehen, dem bitteres Unrecht angetan worden ist, an dem der Verein kein Teil hat“, war in der Club-Zeitung nachzulesen, in der auch Jenö Konrad die Gründe für seinen Abschied darlegte. „Nach reiflicher Überlegung entschloss ich mich, sofort zu gehen, denn ich glaube dem Club und der Sache damit am besten dienen zu können“, schrieb er an den Vereinsvorstand. „Für mich waren die zwei Jahre beim Club keine kleine Episode.“ Für Konrad und seine Familie begann nun eine Odyssee durch Europa, bevor sie im Mai 1940 von Lissabon aus den Kontinent in Richtung New York verlassen konnten.
In der Neuen Welt angekommen ging der Emigrant sofort auf Arbeitssuche. Zunächst arbeitete er als Masseur, dann in einer Nähmaschinenfabrik, später machten sich die Konrads selbstständig und eröffneten ein Textilfachgeschäft. Da in den USA der Fußball unpopulär war und Jenö Konrad sich als „New American“ schnell assimilieren wollte, entdeckte er für sich den ur-amerikanischen Sport Baseball. Doch 1953 und 1955 gastierte der „Club“ zu Freundschaftsspielen in New York; und sein ehemaliger Trainer sah begeistert zu: „Ich war stolz darauf, wieder einmal feststellen zu können“, schrieb Konrad an seine alte Liebe, „der Verein ist seiner Tradition treu geblieben, der in jeder Beziehung dem Sport Deutschlands Ehre bringt.“ Nach Nürnberg kehrte er jedoch nie wieder zurück. Am 15. Juli 1978 starb Jenö Konrad an einem Herzleiden.
Nicht nur der geniale Trainer wurde aus Nürnberg vertrieben. Am 30. April 1933 strich der 1. FC Nürnberg alle Juden aus der Mitgliederkartei gemäß der „Stuttgarter Erklärung“, in der sich 14 Vereine aus Süddeutschland verpflichtet hatten, alle jüdischen Mitglieder auszuschließen.
Es hat lange gedauert, bis sich der 1. FC Nürnberg kritisch mit seiner Rolle in der NS-Zeit auseinandergesetzt hat. Zum 100. Vereinsjubiläum im Jahr 2000 wurde das Schicksal von Jenö Konrad und auch seiner jüdischen Vereinskameraden in der Festschrift thematisiert. Seitdem hat sich viel getan: Evelyn, die Tochter von Jenö Konrad, wurde ausfindig gemacht, nach Nürnberg eingeladen und ihr die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Zudem findet in Kooperation mit Maccabi Nürnberg und dem „Club“ seit 2018 das Jugendprojekt „Fußball trifft auf Geschichte“, begleitend mit dem Turnier um den „Jenö-Konrad-Cup“, statt.
Quellen:
Bernd Siegler, Heulen mit den Wölfen. Der 1. FC Nürnberg und der Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder, Fürth 2022.
Bernd Siegler/Katharina Wildermuth, Jenö Konrad, Franz Salomon und der Club. Der Umgang des 1. FC Nürnberg mit seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus, in: Alexandra Hildebrandt (Hg.), CSR und Sportmanagement: jenseits von Sieg und Niederlage. Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen, Berlin 2014.
Bernd Siegler, Eine Fahrkarte nach Jerusalem. Der 1. FC Nürnberg wird „judenfrei“, in: Jim G. Tobias/Peter Zinke (Hg.), nurinst 2006, Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Nürnberg 2006.
Werner Skrentny, Von Serbien nach New York. Von Budapest nach Stockholm. Die Odyssee der Konrad Zwillinge, in: Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.), Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball, Göttingen 2003.