Lucie Adelsberger – jüdisch-fränkische Ärztin und Wissenschaftlerin

Am 12. April 1895 wurde Lucie als Tochter des Weinhändlers Isidor Adelsberger und seiner Frau Rosa in Nürnberg geboren. Nach dem Besuch der örtlichen Höheren Töchterschule legte sie 1914 als Externe am Königlichen Realgymnasium die Reifeprüfung ab. Umgehend nahm die junge Frau ein Medizinstudium an der Universität Erlangen auf, das sie 1919 erfolgreich abschloss. Ihr praktisches Jahr absolvierte sie an der Cnopf’schen Kinderklinik; 1920 wurde sie über das Thema „Die Verdauungsleukozytose beim Säugling“ promoviert. Im selben Jahr erhielt sie ihre Approbation.

Titelblatt ihrer Dissertation „Die Verdauungsleukozytose beim Säugling“. Repro: nurinst-archiv

Anschließend übersiedelte Dr. Adelsberger nach Berlin, wo sie zunächst in der Kinderabteilung des Krankenhauses Friedrichshain und später im Waisenhaus und Kinderasyl der Stadt Berlin eine Stelle als Assistenzärztin innehatte. In dieser Zeit machte sie die Ausbildung zur Fachärztin für Kinderheilkunde sowie Innere Medizin und eröffnete 1925 ihre eigene Praxis. Neben ihrer Arbeit als niedergelassene Medizinerin und Mitglied in der Berliner Ärztekammer forschte Lucie Adelsberger ab 1927 als eine der wenigen Frauen am Robert-Koch-Institut an der „Beobachtungsstelle für Überempfindlichkeitsreaktionen“. Dabei entwickelte sie klinische und serologische Konzepte zur Behandlung von Allergien. Dr. Adelsberger veröffentlichte zahlreiche medizinische Aufsätze, hielt Vorträge und nahm an internationalen Fachkongressen teil.

Lucie Adelsberger 1920. Quelle: Wikipedia.org

Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten erfolgte der Rauswurf aus dem Robert-Koch-Institut und der Entzug ihrer Kassenzulassung. Nun konnte sie in ihrer Praxis nur noch privat behandeln; ab 1938 verlor die Ärztin ihre Approbation und durfte fortan als „Krankenbehandlerin“ nur noch jüdische Patienten versorgen. Der Versuch, mit ihrer kranken Mutter in die USA zu emigrieren, schlug fehl. 1941 verloren Mutter und Tochter ihre Wohnung und mussten in ein „Judenhaus“ umziehen. Zwei Jahre später wurde Dr. Adelsberger verhaftet und am 17. Mai 1943 zusammen mit 400 Juden nach Auschwitz deportiert. Ihre Mutter war kurz zuvor verstorben.

Als Häftling mit der Nummer 45.171 wird Lucie Adelsberger als Ärztin im „Zigeunerlager“ und im Frauenlager in Birkenau eingesetzt. Im Januar 1945 erfolgte der Todesmarsch ins KZ Ravensbrück, aus dem sie Ende April 1945 von der Roten Armee befreit wurde. Mit einem Rot-Kreuz-Transport gelang Lucie Adelsberger zunächst in die Tschechoslowakei, auf Vermittlung der Jewish Relief Unit von dort aus nach Amsterdam, wo sie allerdings keine Arbeitserlaubnis als Ärztin bekam. Im Frühjahr 1946 veröffentlichte sie in einem renommierten medizinischen Fachmagazin einen vielbeachteten Aufsatz über Krankheiten, die in Auschwitz grassierten. Im Herbst gelang es der Ärztin endlich in die Vereinigten Staaten auszureisen.

Dr. Adelsberger hatte Glück und erhielt eine Anstellung im Montefiore-Hospital in New York, musste allerdings noch ein medizinisches Examen für eine endgültige ärztliche Zulassung in den USA ablegen. Sie arbeitete zudem in einer TBC-Klinik und begann über ihre Zeit in Auschwitz zu schreiben. Ihr Buch „Auschwitz: Ein Tatsachenbericht“ ist eines der ersten authentischen Zeugnisse über das Vernichtungslager. Ab Sommer 1948 forschte sie am Research Department des Montefiore Hospitals sowie am Medical Center New York zur zellulären Frühdiagnose von Karzinomen und im Bereich der Immunologie, publizierte in namhaften medizinischen Zeitschriften und referierte ihre Forschungsergebnisse auf Fachkongressen. Zudem eröffnet sie 1951, wohl aus finanziellen Gründen, noch eine kleine allergologische Privatpraxis. Lucie Adelsberger erkrankte an Brustkrebs, arbeitete und forschte dennoch weiter, bis sie 1971 im Alter von 76 Jahren verstarb.

Quellen:

Eduard Seidler, Jüdische Kinderärzte 1933–1945. Entrechtet. Geflohen. Ermordet, Freiburg 2007.

Rebecca Schwoch, Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus, Berlin 2009.

Eberhard Neumann-Redlin von Meding/Hella Conrad, Ärzte unter dem Hakenkreuz. Die Berliner Medizinische Gesellschaft im Nationalsozialismus, Berlin 2013.

Benjamin Kuntz, Lucie Adelsberger. Ärztin – Wissenschaftlerin – Chronistin von Auschwitz, Berlin/Leipzig 2020.