Israelitische Realschule Fürth

Die einzige höhere jüdische Schule in Bayern

„Im Gegensatz zu der größeren Zahl jüdischer Volksschulen ist als jüdische Mittelschule in Bayern die 1862 gegründete höhere Bürgerschule in Fürth vereinzelt geblieben“, beklagte das „Bayerische Israelitische Gemeindezeitung“ 1928 und lobte gleichzeitig die „außerordentlich verdienstvoll wirkende Schule“, die sich zu einer „Musteranstalt“ entwickelt habe. Zu dieser Zeit wurden 160 Schüler und Schülerinnen in vier Vorschul- und sechs Realklassen von elf hauptamtlichen, drei Volksschul-, zwei Religions- und sechs Realschullehrern unterrichtet.

Die Schule war „von einigen einflussreichen, würdigen Vertretern der hiesigen Orthodoxie“ als „Israelitische Bürger-Schule“ gegründet worden, wie die Zeitung „Der Israelit“ meldete, da die „hiesige isr. Jugend allzu sehr der Ignoranz auf religiösem Gebiet verfallen war“. In den ersten Jahren der Anstalt standen daher die jüdische Religionslehre, biblische Geschichte und Hebräisch im Mittelpunkt des Unterrichts. Ziel der Schule war „die religiöse Erziehung einer jüdischen Jugend, die treu festhalten sollte an dem Glauben ihrer Väter, und Vermittlung einer Bildung, die ihre Zöglinge befähigen sollte, ihren Beruf zu erfüllen, dem Gemeinwesen und dem Staat treu zu dienen, Ausrüstung der Jugend für das Ewigkeitsleben der Thora wie für das Gesellschaftsleben des Alltags.“ Erst mit der staatlichen Anerkennung im Jahr 1881 wurde der starke Fokus auf die Religion zurückgenommen und die gesamte Palette allgemeinbildender Fächer, wie etwa Deutsch, Englisch, Geografie, Physik, Mathematik, aber auch Turnen unterrichtet. Mit einer Ministerialentschließung vom 12. Juni 1899 gestatteten die bayerischen Behörden die offizielle Benennung als „Israelitische Realschule zu Fürth“. Mädchen war der Besuch einer höheren Lehranstalt staatlicherseits jedoch erst ab Mai 1919 erlaubt – in Fürth konnten sich die Verantwortlichen sogar erst 1928 „nach längerem Kampfe gegen den Widerspruch im eigenen und fremden Lager“ durchringen, auch Schülerinnen in größerer Zahl aufzunehmen. 1929 waren 19 Mädchen von insgesamt 78 Schülern, zwei Jahre später 30 weibliche Schüler bei einer Gesamtzahl von 95 Knaben und Mädchen an der Schule eingeschrieben.

Anzeige aus Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 13. Dezember 1927. (Repro: nurinst-archiv)

Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten wurden jüdische Schüler zunehmend aus den öffentlichen Bildungsanstalten verdrängt. Gemäß dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen“ durften nur noch fünf Prozent der Schüler „nicht-arischer“ Abstammung sein. Viele Jungen und Mädchen waren gezwungen, an jüdische Lehranstalten zu wechseln.

Lehrer der jüdischen Realschule Fürth Mitte der 1930er Jahre: Heinemann, Mandelbaum, Eldoch, Falkenmeier, Kohn (v. l. n. r.) und sitzend Direktor Prager. (Repro: nurinst-archiv)

Auch die jüdische Realschule Fürth hatte „seit 1933 einen gewaltigen Aufschwung zu verzeichnen“, meldete das „Israelitische Familienblatt“. „Ihre seit jeher vorhanden gewesenen vier Grundschulklassen konnten durch Erfassung aller schulpflichtigen Kinder zu einer achtjährigen Volksschule ausgebaut werden.“ 1934 war die Schülerzahl in Fürth bereits auf 197 gestiegen. Im Sommer 1936 erhielt die Bildungsanstalt die offizielle Erlaubnis, „jüdische Schüler anderer höherer Lehranstalten ohne zahlenmäßige Beschränkung aufzunehmen“. 1937 besuchten 224 Schüler die jüdische Realschule, davon waren allein 21 sogenannte Übertrittsschüler.

Elsbeth Bein (2. R., 4. v. l.), 1934 Volksschule Holzgartenstr. in Nürnberg. (Repro: nurinst-archiv)

Auch Elsbeth Rosa Bein (1923–2015), deren Vater an der Nürnberger Spielwarenfabrik Doll & Co. beteiligt war, musste nach der vierten Klasse Volksschule auf die jüdische Realschule Fürth wechseln. Viele Schüler kamen zudem aus den umliegenden Landgemeinden und stammten aus eher orthodoxen Familien, wobei aber auch einige Nürnberger und Fürther Kinder aus liberalen, assimilierten Elternhäusern die Schule besuchten. Der bekannteste Schüler war sicher Heinz Alfred Kissinger, der später als Henry Kissinger im Amt des Außenministers der USA, Staatsmann und Hochschullehrer maßgeblich die amerikanische, aber auch internationale Politik mitbestimmte. „Er war eine Klasse über mir“, erinnert sich Elsbeth Rosa, die 1939 mit einem Kindertransport nach England gelangte und später in die USA übersiedelte. „Ich habe ihm gratuliert, als er amerikanischer Außenminister unter Präsident Nixon wurde, und er hat mir einen Dankesbrief zurückgeschrieben. Ich glaube nicht, dass er sich noch an mich erinnern konnte, aber es war nett, dass er geantwortet hat.“

Nach den Novemberpogromen von 1938 verfügte das Reichsministerium für Wissenschaft und Erziehung, dass es keinem deutschen Lehrer mehr zugemutet werden könne, jüdische Kinder zu unterrichten. Da noch ein „Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen“ zu verzeichnen war, ordnete der Minister an, dass „der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mädels nunmehr nicht weiter gestattet werden kann.“ Jüdische Kinder durften nur noch Schulen besuchen, die von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland organisiert und finanziert wurden. Aufgrund der jüdischen Emigration gingen die Schülerzahlen stark zurück. Die jüdische Realschule Fürth wurde laut Verfügung der Reichsvereinigung vom 2. Dezember 1939 aufgelöst, da nur noch 12 Mädchen die Anstalt besuchten. An der Volksschule waren nur noch 57 Schüler registriert. Die Volksschule wurde am 1. Juli 1942, wie alle jüdischen Schulen in Deutschland, zwangsaufgelöst.

Quellen:

Zeitungsnachrichten und Correspondenzen (Fürth), in: Der Israelit, 3. Juli 1867.

Die israelitische Realschule in Fürth, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1. März 1928.

Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933, in: Deutsches Reichsgesetzblatt 1933, Nr. 43.

Schulunterricht an Juden, in: Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Unterrichtsverwaltung der Länder, 4. Jg. (1938).

Claudia Prestel, Jüdisches Schul- und Erziehungswesen in Bayern: Tradition und Modernisierung im Zeitalter der Emanzipation, Göttingen 1989.

Jim G. Tobias „… und wir waren Deutsche“. Jüdische Emigranten erinnern sich. Ein Lesebuch, Nürnberg 2009.