Max Mannheimer wurde am 6. Februar 1920 in Neutitschein/Nový Jičín in Mähren im Osten der Tschechoslowakei als ältestes von fünf Kindern von Jakob und Margarethe Mannheimer geboren. Die Eltern, angesehene Kaufleute, schickten Max nach der Grundschule auf das Gymnasium, das er jedoch früh verließ. „Ich war einfach faul und wollte kein Latein lernen.“ Stattdessen besuchte er die Handelsschule seiner Heimatstadt und fand danach Anstellung in einem Kaufhaus in Znaim-Alt-Schallersdorf.
Nach dem Münchner Abkommen wurde Neutitschein Teil des „Reichsgaus Sudentenland“. In der Nacht von 8. auf den 9. November 1938 wurde auch die Synagoge der Mannheimers geschändet. „Gebetbücher, Thorarollen und Gebetschals lagen zerfetzt auf der Straße. Das Buch, das die Juden zwei Jahrtausende in der Zerstreuung zusammenhielt, wurde mit Stiefeln getreten“, erinnerte sich Max Mannheimer. Der Vater wurde in der Nacht verhaftet: „Ein offener Polizeiwagen fährt vor unserem Hause vor. Jüdische Männer sitzen auf dem Wagen, bewacht von Schupos in grüner Uniform. Zwei Schupos kommen die Treppe hoch. Meinem Vater wird erklärt, er werde in Schutzhaft genommen, damit ihm nichts passiere. Vermutlich wegen der „kochenden Volksseele“. Ich stehe neben der Tür. „Wie alt ist der Bengel?“, fragt der Schupo. „Mein Herz klopft ganz laut. Hätte Mutter mein Alter genannt, wäre ich ins Gefängnis mitgenommen worden. Der Schutz kam von der Mutter, nicht von der Schutzpolizei.“
Nach einigen Wochen wurde Jakob Mannheimer freigelassen, unter der Auflage, dass er das deutsche Reichsgebiet innerhalb von acht Tagen zu verlassen hatte. Er ging nach Ungarisch-Brod, dem Geburtsort von Margarethe Mannheimer, die Familie folgt kurze Zeit später: „Am 27.Januar 1939 verlassen wir unser Haus in Neutitschein in der Hoffnung, in dem nicht besetzten Teil der CSR ein Leben ohne Angst führen zu können.“ Max versuchte, sich in den neuen Alltag einzufinden und arbeitete in einer Gewürz- und Samenhandlung. Nur wenige Wochen später erlebte er zum zweiten Mal den Einmarsch der deutschen Truppen: „Es ist genau das gleiche Bild wie vier Monate früher in Neutitschein. Die öffentlichen Gebäude sind mit Hakenkreuzfahnen beflaggt. Die Motorräder mit und ohne Beiwagen, stellen sich in einer Reihe auf dem Stadtplatz auf, die Autos daneben. Aus dem Masarykplatz, auf dem wir wohnen, wird über Nacht der Adolf-Hitler-Platz. Nur die Begeisterung von Neutitschein fehlt. […] Während sich die deutschen Randgebiete ,befreit‘ fühlten, fühlt sich die tschechische Bevölkerung ,besetzt.“‘
Max Mannheimer begann im Sommer im Straßenbau zu arbeiten, eine andere Arbeit war ihm nicht mehr erlaubt. Ende 1940 lernte er Eva Bock kennen, die beiden entschlossen sich zu heiraten, da sie sich erhofften, so zusammen bleiben zu können. Das Ehepaar wurde am 27. Januar 1943, mit den Eltern Mannheimer und drei weiteren Geschwistern und Partnern von Max nach Theresienstadt deportiert. Bruder Erich war schon vorher verhaftet worden. Aus Theresienstadt wurden die Mannheimers nach Auschwitz deportiert, wo sie in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1943 ankamen. Die Eltern wurden sofort aussortiert und ermordet, Max Schwester, seine Frau und Schwägerin in den Wochen danach. Bruder Ernst wurde nach einer Erkrankung im März ermordet.
Max und sein Bruder Edgar überlebten als einzige der Familie. Im Oktober wurden sie nach Warschau deportiert und mussten dort die Reste des zerstörten Ghettos räumen. Im August 1944 wurden sie nach Dachau transportiert und mussten im KZ Außenlager Karlsfeld, später im Außenlager Mühldorf Zwangsarbeit leisten. Max erkrankte an Fleckfieber, die Evakuierung des Lagers überlebte er nur, weil sein Bruder ihn in einen Waggon hob, der schließlich in Tutzing von amerikanischen Truppen gestoppt wurde. Max Mannheimer bezeichnete diesen Moment als seine zweite Geburt.
Nach vier Wochen hatte er sich soweit erholt, dass er nach Hause zurückkehren konnte. Er habe sich geschworen, „Deutschland zu verlassen und nie mehr deutschen Boden zu betreten. Ich wollte nicht in einem Land leben, wo Menschen andere Menschen wegen deren Religion oder, wie bei Sinti und Roma, wegen deren Rasse, wie sie das nannten, in Gaskammern stecken.“
Max Mannheimer kehrte zunächst nach Neutitschein zurück. Dort verliebte er sich in eine Deutsche, Elfriede Eiselt, die seine zweite Frau wurde und ihn nach München brachte, wo sie zwischen 1952 bis 1960 sozialdemokratische Stadträtin war. Er habe sich in diesen Jahren nur in sehr begrenzten Kreisen bewegt, unter Parteifreunden seiner Frau und in jüdischen Kreisen. „Ich arbeitete in jüdischen Institutionen und auch bei einer Zeitung und ansonsten habe ich mich eher selbst isoliert. Im Nachlass meiner verstorbenen Frau fand ich die Bemerkung, dass ich mir ein selbst gebautes Ghetto erschaffen hätte. Das heißt, das war natürlich ein Schutzwall und kein Ghetto.“
In den 1950er Jahren begann er zu malen, ein therapeutisches Mittel, um das Erlebte zu verarbeiten. Er bezeichnete seine Werke als „Bilder eines Weges aus Schmerz und Depression“ und signierte mit „Ben Jakov“, seinem hebräischen Namen. Er kommentierte sein Schaffen selbst nüchtern: „Ich gieße Farbe auf die Leinwand und bewege sie dann hin und her. Das kann eigentlich jeder so machen.“ Seine Kunst wurde über die Jahrzehnte hinweg in einigen Ausstellungen in München, Zürich, seiner Heimatstadt Nový Jičín und in Dachau gezeigt.
Der Tod seiner Frau 1964 veranlasste Max Mannheimer, sich mit seiner Verfolgungsgeschichte auseinander zu setzen. Nach einer Kieferoperation, die ihn über den eigenen Gesundheitszustand im Unsicheren ließ, begann er für seine damals 17-jährige Tochter sein Erlebtes aufzuzeichnen. 1985 wurden diese Erinnerungen dann in den „Dachauer Heften“ abgedruckt, woraufhin er die erste Einladung zu einem Vortrag erhielt. Immer wieder sei er von depressiven Phasen übermannt worden, erzählte Mannheimer in einem Interview. Während eines Aufenthalts in den USA, er war in dritter Ehe mit der Amerikanerin Grace Franzen verheiratet, sei auch ein Klinikaufenthalt nötig geworden. Die Therapie, auch die Behandlung zurück in München hätten ihm jedoch nichts gebracht. Erst das Reden, das Erzählen über das Erlebte habe geholfen.
Max Mannheimer wurde ein unermüdlicher Redner. Er folgte zahllosen Einladungen, um in Schulen vor jungen Menschen Zeugnis abzulegen. „Ich bin ein Zeuge der Zeit und kein Ankläger und auch kein Richter. Unter dieser Voraussetzung gehe ich in die Schulen, um die jungen Leute dort vor der Gefahr einer Diktatur zu warnen. Es kommt mir also weniger darauf an, über mein Leid zu klagen, sondern es kommt mir darauf an zu vermitteln, wie eine Diktatur entsteht, wie man eine Diktatur verhindern kann“.
Mannheimer war Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau. Unter den zahlreichen Auszeichnungen und Ehrungen, die Max Mannheimer erhielt, ist u. a. das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland und die Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem Vereinten Europa.
In einem Interview auf Religion angesprochen, sagte Mannheimer, er sei nicht religiös und habe den Glauben an Gott verloren. „Aber ich habe so wie als Kind auch im Lager immer mit einer Hand auf dem Kopf gebetet: ,Schma Jisrael Adonai Elohenu Adonai Echad‘. Denn sicher ist sicher. Ich habe also einerseits den Glauben verloren und andererseits gebetet.“ Er gehe nicht in die Synagoge, aber er erzähle die Geschichte des jüdischen Volkes während der Zeit des Nationalsozialismus. „Und wenn der Allmächtige damit nicht mehr zufrieden ist, wird er mir schon ein Zeichen geben. […] Er hat mir sogar meinen Humor zurückgegeben, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Das ist also eine etwas andere Art von Religiosität. Natürlich kann man einwenden, dass das eine faule Ausrede ist, aber ich hätte einfach gar keine Zeit, in die Synagoge zu gehen.“
Max Mannheimer starb am 23. September 2016 im Alter von 96 Jahren. Sein Grab befindet sich im Neuen Israelitischen Friedhof in München-Freimann. Mittlerweile wurden mehrere Schulen und Straßen nach ihm benannt, in München der Platz vor dem NS-Dokumentationszentrum.
Quellen:
Max Mannheimer, Spätes Tagebuch, Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau, München 2000.
Max Mannheimer. Zeitzeuge im Gespräch mit Dr. Sybille Krafft, Alfa Forum, https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/alpha-forum/max-mannheimer-gespraech102~attachment.pdf.