„Dem Massaker Entkommener – Erneuerer der Kultur“
Baruch Graubard wurde am 17. September 1900 in Skole, einer Kleinstadt in Galizien, in eine chassidische Familie geboren. Der Vater war Lehrer. Sein späterer Werdegang wurde maßgeblich durch die Bildung geprägt, die seine Eltern für ihn wählten. Bis zum Alter von 12 Jahren lernte Baruch in Ungarisch-Brod bei Rabbiner Moritz Jung sowohl der jüdischen Tradition nach, wie auch weltliche Fächer. Später lernte er bei Zwi Perez Chajez am Hebräischen Pädagogium in Wien und schloss sein Abitur 1918 in Lemberg ab.
In Wien studierte er Geschichte, Judaistik und Sprachen und legte in Lemberg die Staatsprüfung ab, die ihm das Unterrichten ermöglichte. Zwischen 1923 und 1939 war er an verschiedenen Gymnasien tätig, zuletzt in Kielce, wo auch seine Ehefrau Anna als Lehrerin arbeitete.
Mit dem Einmarsch der Deutschen nach Polen und der Einrichtung des Ghettos in Kielce, war Graubard dort Gefangener. Nach der Deportation der meisten Bewohner des Ghettos nach Treblinka gehörte er zu den 2.000 Gefangenen, die in andere Zwangsarbeiterlager gebracht wurden. Ihm gelang die Flucht und er überlebte mit seiner Familie versteckt in einem slowakischen Franziskanerkloster. Graubard beschrieb sich selbst in dieser Zeit der Flucht „als einen vogelfreien Menschen, der seine Identität aufgegeben und vergessen hatte“.
1946 verließ die Familie Polen und gelangte nach München. Sie zählten damit zu den rund 200.000 jüdischen Displaced Persons im besetzten Deutschland, lebten jedoch nicht in einem DP-Lager, sondern kamen privat unter. Graubard leitete zunächst die Kulturabteilung des Zentralkomitees der befreiten Juden in der US-Zone (ZK) und begann dann am neu gegründeten Hebräischen Gymnasium München Hebräisch, jüdische Geschichte und Literatur zu unterrichten. 1949 übernahm er die Leitung der Schule. Zugleich war er im Auftrag des ZK für die Schulaufsicht aller DP-Schulen verantwortlich.
Graubard war außerdem ein produktiver Journalist und veröffentlichte regelmäßig in jiddischen DP-Zeitungen, wie beispielsweise „Undzer Weg“, „Undzer Hajnt“ und „Morgn“. 1949 erschien in München sein Buch „Gewen a Schejres Haplejte – Notizbuch fun Mojsche Joslen“, das den Alltag in den DP-Camps beschrieb.
Später fungierte er als Leiter der Kulturkommission des neu gegründeten Zentralrats der Juden in Deutschland, als Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde München, als Präsidiumsmitglied im Landesverband der Israelischen Kultusgemeinden in Bayern und auch als Direktoriumsmitglied des Zentralrats.
In den 1950er Jahren erhielt er außerdem einen Lehrauftrag an der Universität Marburg für nachbiblisches Judentum. In den „Münchener Jüdischen Nachrichten“ schrieb Graubard später über diesen Lehrauftrag, er habe ihn „im Namen der Menschen erfüllt, zu denen ich nach Herkunft, Erziehung, Geistesverfassung und Bildung gehöre“. Er habe es für notwendig gehalten, sich „mit jungen Menschen, die nichts über Juden und Judentum wissen, zu unterhalten und ihnen einen Juden zu zeigen“.
1955 gehörte Baruch Graubard zu den Gründern des jüdischen Gesellschaftsclub „Moadon“ in München, der Kulturveranstaltungen, Quiz-Abende und Vorträge für seine Mitglieder veranstaltete. Er verfasste zudem Theaterstücke, wie „Festung ohne Mauer“, das von der Zeit der Verfolgung handelt und 1965 im Tübinger Landestheater uraufgeführt wurde. Zuvor hatte er bereits das Stück „Das Lied aus der Wüste“ verfasst, das jedoch nicht zur Aufführung kam. Zwischen 1958 und 1963 hielt Graubard im Bayerischen Rundfunk Vorträge über die Wochenabschnitte der Thora und wurde so auch einem größeren nichtjüdischen Publikum bekannt.
Sein Lebensweg nach 1945 ist umso erstaunlicher, wenn man eine seiner Aussagen zur Shoa liest. Graubard habe die Vorstellung gehabt, „das deutsche Volk gehöre nicht zur Menschheit“. Nur langsam sei es ihm gelungen, „aus dieser Masse reißender Tiere einzelne Persönlichkeiten herauszuholen und sie wieder als Menschen anzusehen“.
Baruch Graubard starb 1976 in München und wurde auf dem Neuen Israelitischen Friedhof der Stadt beerdigt.
Die Historikerin Jael Geis, die einen umfassenden biografischen Beitrag über Baruch Graubard verfasste und auf dem dieser Beitrag weitgehend basiert, hatte mit der älteren Tochter Jadwiga Maurer gesprochen: „Er (mein Vater) war einer der wenigen in der BRD verbliebenen ,ostjüdischen‘ Intellektuellen, die mit ihrer Tradition und der Moderne bewusst und kreativ zu leben und zu arbeiten sowie sich in mehreren Sprachen auszudrücken und in und zwischen verschiedenen publizistischen und literarischen Genres zu bewegen verstanden.“
Quellen:
Jael Geis, Baruch Graubard – „Ein für das Gemeinwohl tätiger Mensch, Erzieher, Schriftsteller, dem Massaker Entkommener, Erneuerer der Kultur“. Eine biografische Skizze, in: Jim G. Tobias/Peter Zinke (Hg.), nurinst 2010. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Nürnberg 2010.
Itzhak J. Karpman (Ed.), Who’s Who in World Jewry. A Biographical Dictionary of Outstanding Jews, New York 1972, S. 347.
Stücke über die Zeit der Verfolgung, Rezension über „Festung ohne Mauer“, in: Mitteilungsblatt (MB) des Irgun Olej Merkas Europa, 12. November 1965.