„Ich liebte, lachte und litt“
Gerty Spies wurde am 13. Januar 1897 als Gertrud Gumprich in Trier geboren. Ihr Vater Sigmund führte ein Herren-Bekleidungsgeschäft und war ein bekannter Mundartdichter. Mutter Charlotte, geb. Kahn, war Krankenschwester.
Gerty besuchte das Auguste-Viktoria-Lyzeum in Trier. Sie sei ein „sehr verträumtes, etwas weltfremdes Kind“ gewesen und habe schon als kleines Mädchen begonnen, erste Gedichte zu schreiben. Danach besuchte sie eine „Frauenschule zur Weiterbildung“, wurde Hauswirtschaftslehrerin, und belegte anschließend das Fröbelseminar in Frankfurt a. M., wo sie eine Ausbildung zur Hortnerin abschloss. Während des Ersten Weltkriegs fiel Gertys älterer Bruder Rudolf, „der erste unüberwindbare Schmerz nach einer sehr glücklichen Jugend“, wie sie selbst schrieb.
1920 heiratete Gerty und zog mit ihrem Mann, dem nichtjüdischen Chemiker Alfred Spies, zunächst nach Freiburg, dann nach Pforzheim. Das Ehepaar bekam zwei Kinder, Ruth und Wolfgang. Die Ehe hielt sieben Jahre, nach der Scheidung zog Gerty Spies mit ihrer Tochter Ruth nach München. Der Sohn Wolfgang war behindert und in einer Pflegeeinrichtung untergebracht.
In Schwabing lebte Gerty „ohne festen Beruf“, schrieb Gedichte und kurze humoristische Artikel. Nach 1933 wurde sie zunehmend ausgegrenzt. Dass sie lange Zeit der Deportation entging, war der Ehe mit einem Nichtjuden und den gemeinsamen Kindern geschuldet, die sie als „privilegiert“ einstufte. Gerty Spies war im Dienst der stetig schrumpfenden Gemeinde tätig. Im jüdischen Kinderheim musste sie helfen, die Kinder für den Transport vorzubereiten und ihre Rucksäcke packen. Tochter Ruth litt in der Schule unter dem „halbarischen“ Status, sie wurde geschnitten und gedemütigt.
Ab 1939 musste Gerty Spies Zwangsarbeit verrichten und am 17. Juli 1942 wurde sie schließlich nach Theresienstadt deportiert. Ihre Tochter Ruth blieb in München zurück. „In Theresienstadt wurden wir in einer Scheune – ohne Möbel, ohne Ofen oder Herd – untergebracht und schliefen, Männer und Frauen bunt durcheinander liegend, auf dem nackten Fußboden“, schrieb sie über die Ankunft im tschechischen Konzentrationslager. Sie verrichtete Zwangsarbeit in einer Glimmerspalterei. Die Nächte verbrachte sie „mit Weinen vor Heimweh und Sorge um meine Tochter“.
Dass sie überlebte, schrieb Gerty Spies dem Drang zu, „alle die vielen großen wie kleinen inneren Erlebnisse und Beobachtungen“ in Gedichtform festzuhalten. „Ich vergaß Hunger, Armut, Heimweh und vieles andere über diesem Schaffensdrang. Das hat mir das Leben gerettet.“ Ihre autobiografischen Aufzeichnungen zu der Zeit im Konzentrationslager sind in dem Band „Drei Jahre Theresienstadt“ versammelt.
Nach Kriegsende kehrte Gerty Spies nach München zurück und war damit eine der etwa 160 überlebenden Münchner Jüdinnen und Juden, die aus Theresienstadt in die Stadt zurückkamen. „Dann aber suchte man miteinander zu leben“, beschrieb sie dieses Zurückkehren, „sie, die den Krieg gefürchtet, mit denen, die ihn gerufen hatten. Das war noch schwerer. Dennoch, wie einfach war auch das zu bewältigen, verglichen mit dem, was nun auf uns wartete: sie alle nicht wiederzufinden, die Geliebten, die spurlos Verschwundenen, die Ermordeten, die der Krieg, der Völkerhass verschlungen hatte.“
In ihrer Wohnung hatte sich eine andere Familie einquartiert. Nur mit Hilfe eines amerikanischen Offiziers konnte Gerty Spies schließlich wieder einziehen. Tochter Ruth hatte am Land überlebt und war inzwischen selbst Mutter geworden. Die Frauen erhielten Unterstützung von der städtischen Fürsorge und halfen selbst im „Bayerischen Hilfswerk für die durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen“ mit. 1947 erschien Gerty Spies‘ erster Gedichtband unter dem Titel „Theresienstadt“. Zwei Auflagen waren schnell verkauft. Hermann Hesse merkte dazu an: „Es ist schön und hat etwas Versöhnendes, dass dieses Theresienstadt auch so etwas rein Dichterisches hervorgebracht hat.“
Auch Gerty Spies‘ bekanntestes Gedicht entstand in Theresienstadt:
Des Unschuldigen Schuld
„Was ist des Unschuldigen Schuld –
Wo beginnt sie?
Sie beginnt da,
Wo er gelassen, mit hängenden Armen
Schulterzuckend daneben steht,
Den Mantel zuknöpft, die Zigarette
Anzündet und spricht:
Da kann man nichts machen.
Seht, da beginnt des Unschuldigen
Schuld.“
Für weitere Werke fand sich in den 1950er Jahren allerdings kein Verleger mehr. Ihre Autobiografie „Drei Jahre Theresienstadt“ wurde erst 1984 veröffentlicht, drei Jahre später der Gedichtband „Im Staube gefunden“, 1992 schließlich die Erzählung „Das schwarze Kleid“. Auch Ehrungen erhielt Gerty Spies erst im hohen Alter. 1986 wurde sie mit dem Schwabinger Kunstpreis für Literatur ausgezeichnet, 1987 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1996 verleiht die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz den „Gerty-Spies-Literaturpreis“.
Wenige Wochen nach ihrem 100. Geburtstag erschien ihr erster Roman unter dem Titel „Bittere Jugend“, den sie in den 1950er Jahren verfasst hatte, der aber bisher nicht veröffentlicht wurde. Der Verlag hatte ihn mit der Begründung, „So schlimm sei es nicht gewesen“, abgelehnt.
Der späte Erfolg, der ihr „viele Leser und Verehrer“ brachte, habe sie immer wieder verwundert, schrieb Gerty Spies. „Ich frage mich oft: Wie hab‘ ich denn das gemacht? Wahrscheinlich, denke ich zuweilen, erfreue ich mich dieser Beliebtheit, weil ich immer wieder Liebe, Verständnis und Verzeihung zu verbreiten suche.“
Gerty Spies lebte zuletzt im jüdischen Seniorenheim in München, wo sie am 10. Oktober 1997 im Alter von 100 Jahren verstarb. „Ich liebte, lachte und litt“ ist auf ihrem Grabstein zu lesen. Wie sie selbst es wollte.
Quellen:
Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz (Hg.), Gerty Spies. Des Unschuldigen Schuld, Mainz 2016.
Salamander, Rachel: „Es hat etwas Versöhnendes“. Das Schreiben der Gerty Spies, in: Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur, 1, 2008, S. 49-72.
Sigfrid Gauch, Die Schriftstellerin Gerty Spies, Blätter zum Land, Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, Nr. 1/2000.
Gerty Spies, Drei Jahre Theresienstadt, München 1984.