Hermann Kesten

„Ich wusste immer, dass ich ein Jude war, und nie genau, was ein Jude ist“

Hermann wurde am 28. Januar 1900 in Podwoloczyska in Galizien geboren. 1904 zog die Kaufmannsfamilie Kesten, Isaak und Ehefrau Ida mit Hermann und seinen beiden Schwestern Caroline und Regina nach Nürnberg. Hermann besuchte die Volksschule und später das Königliche Alte Gymnasium. Der Vater wurde im Ersten Weltkrieg verwundet und starb 1918 in einem Lazarett in Lublin. Für den Sohn ein großer Verlust, er hatte eine innige Beziehung zum Vater und von ihm auch die Liebe zu Büchern.

Nach dem Krieg studierte Hermann Jura und Nationalökonomie, wechselte dann aber zu Germanistik, Geschichte und Philosophie. Aus finanziellen Gründen brach er auch dieses Studium und die Dissertation ab und begann stattdessen im Kaufmannsladen der Mutter zu arbeiten. In dieser Zeit unternahm er zudem mehrere Reisen in Europa und nach Nordafrika.

1926 publizierte die Frankfurter Zeitung eine erste Novelle von Hermann Kesten, „Vergebliche Flucht als Folge“. Ein Jahr später schrieb Kesten seinen Debütroman „Josef sucht die Freiheit“ über einen 13-jährigen Jungen und das kleinbürgerliche Milieu, in dem er lebt. 1928 verließ er Nürnberg und zog nach Berlin, um eine Stelle als Lektor beim Kiepenheuer-Verlag anzunehmen. Im gleichen Jahr wurde sein Theaterstück „Maud liebt beide in Kassel“ uraufgeführt. In Nürnberg hatte Kesten Toni Warowitz geheiratet, die ihn auch bei seiner Arbeit unterstützte und Manuskripte tippte. Toni, 1904 in Nürnberg geboren, war eine Klassenkameradin von Kestens Schwester Regina.

Bis 1933 veröffentlichte Kesten noch drei Romane, weitere Dramen und Erzählungen sowie zahlreiche journalistische Arbeiten. Seine Werke machten ihn zu einem der bekanntesten Vertreter der Neuen Sachlichkeit.

Hermann Kesten ca. 1935. (Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hermann_Kesten-Riwkin-1935.jpg)

1933 floh das Ehepaar nach Frankreich, wo Kesten als Lektor für den Allert de Lange Verlag arbeitete, der Exilliteratur publizierte. Nach verschiedenen Stationen, u. a. in Paris, Brüssel und Amsterdam, lebte das Ehepaar in einem Haus mit Josef Roth und Heinrich Mann und deren Partnerinnen in Nizza. Kesten schrieb über diese literarische Hausgemeinschaft: „An blauen Abenden standen wir auf unseren Balkons und sahen, wie die Sonne im Meer unterging und ihr Abschein die Wellen und den Himmel und die Wangen unserer Frauen rötete.“

Nach Kriegsausbruch wurde Kesten als „feindlicher Ausländer“ interniert, konnte 1940 nach New York fliehen. Als Auflage für sein Besuchervisum hatte er die Familie zurücklassen müssen. Erst später gelang es ihm, dass auch seine Frau Toni, die Schwestern und seine Mutter nachreisen konnten. In den USA war Kesten als Berater des Emergency Rescue Committee tätig und half Schriftstellern und Künstlern bei der Flucht, darunter Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel. Stefan Zweig nannte Kesten den „Schutzheiligen aller über die Welt Versprengten“.

1949 erhielt Kesten die amerikanische Staatsbürgerschaft. In diesem Jahr reiste er auch erstmals zurück nach Europa, auch nach Deutschland und Nürnberg und traf alte Freunde.
Sein Judentum hatte ihm zeitlebens nichts bedeutet. Er war säkular und begegnete dem Judentum als Religion lediglich während der Schulzeit. „Ich wusste immer, dass ich ein Jude war, und nie genau, was ein Jude ist. Weder Religion noch Rasse, weder semitische noch antisemitische Merkmale, weder Geist noch Ungeist, weder die Herkunft noch die Zukunft waren die bestimmenden Eigenschaften eines Juden“, schrieb er Ende der 1950er Jahre. Auch Israel, das er im Jahr 1950 besuchte, blieb ihm fremd.

1953 zog das Ehepaar nach Rom, wo sie über 20 Jahre leben sollten. Zwischen 1972 und 1976 war Kesten Präsident des P.E.N.-Zentrums der BRD. Er wurde u. a. mit dem Georg-Büchner-Preis und dem Nelly-Sachs-Preis ausgezeichnet. Kesten verfasste im Laufe seiner Schaffenszeit 14 Romane, zahlreiche Novellen, Erzählungen, Biografien und Essays, mehrere Bühnentexte und Übersetzungen. „Nichts Literarisches war ihm fremd, von allem was er geschrieben hat, so finde ich, sind die Schriftsteller-Portraits, die weitaus interessantesten und wertvollsten Arbeiten“, urteilte Marcel Reich-Ranicki, „vor allem in dieser wunderbaren Sammlung ‚Mein Freunde die Poeten‘.“

Titelblatt der Ausgabe von 1953. (Repro: nurinst-archiv)

Nach dem Tod seiner Frau Toni zog Hermann Kesten 1977 nach Basel. Die Verbindung zu Nürnberg blieb bestehen. 1978 wurde er Ehrendoktor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 1980 Ehrenbürger der Stadt Nürnberg. 1995 stiftete Kesten die Preissumme für die erste Verleihung des Nürnberger Menschenrechtspreises. Zu Nürnberg sagte Kesten: „Ich fühle mich in keiner Stadt der Welt so zuhause wie in Nürnberg und in keiner Stadt der Welt so fremd.“ Hermann Kesten starb am 3. Mai 1996 in Basel.

Lesetipp: Wer mehr über das Leben und Werk von Hermann Kesten erfahren will, dem sei die hervorragende Internetseite https://kesten.de/ empfohlen, mit umfangreichen biografischen Angaben, Literaturhinweisen, Leseproben aus seinen Büchern sowie Audio- und Videostücken. Da dieser Text weitgehend auf den Informationen dieser Seite basiert, verzichten wir auf weitere Quellenangaben.