Der Jüdische Kulturbund in Bayern (JKB) 1934–38

Im Herbst 1933 wandte sich der Verband der Bayerisch-Israelitischen Gemeinden an das Bayerische Ministerium für Unterricht und Kultus und bat um Erlaubnis, einen „Jüdischen Kulturbund in Bayern“ (JKB) zu gründen. Das Gesuch wurde am 16. Januar 1934 amtlich genehmigt. Am 4. Februar 1934 fand in München die konstituierende Sitzung des JKB statt. Die Vereinigung bestand zunächst aus nachfolgenden Ortsgruppen: München, Aschaffenburg, Augsburg, Bad Kissingen, Bamberg, Fürth, Kitzingen, Würzburg und Nürnberg.

Der JKB war eine regionale Gliederung des nationalen „Kulturbund Deutscher Juden“, die im Sommer 1933 in Berlin, als Selbsthilfeorganisation auf die gleich nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ einsetzende Ausgrenzung jüdischer Gelehrter, Schriftsteller, Schauspieler und Künstler gegründet wurde. Alle Aufführungen mussten Wochen zuvor beim bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus genehmigt werden. Zutritt zu den Konzerten und anderen kulturellen Aufführungen hatten nur Mitglieder des Kulturvereins, die sich mittels eines Lichtbildausweises legitimieren mussten. Die Behörde forderte zudem, dass die Veranstaltungen einen jüdischen Charakter hatten und keinerlei politische Aussagen beinhalten. Der Kulturbund sei nämlich eine rein jüdisch-kulturelle Angelegenheit, „die nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt, und – wie die Träger der Organisation selbst wünschen – als eine kulturelle Tätigkeit von Juden nur für Juden bestimmt ist“.

Waren zunächst noch Stücke von deutschen Komponisten und Schriftstellern erlaubt, wie etwa Beethoven, Haydn, Mozart, Goethe oder Lessing, wenn die Interpreten und das Publikum rein jüdisch waren, so änderte sich das im Laufe der Zeit. Im Jahr 1934 wurden Friedrich Schiller und die deutsche Romantik auf den Index gesetzt, Johann Wolfgang von Goethe und die gesamte deutsche Klassik folgten ab 1936. Beethoven musste 1937 vom Programm des Kulturbunds gestrichen werden. Zudem mussten sich alle regionalen und lokalen Kulturbünde Deutscher Juden 1935 in „Reichsverband Jüdischer Kulturbünde in Deutschland“ umbenennen. Damit wurde per Federstrich verfügt, dass es keine deutschen Juden sowie keine deutsch-jüdische Kultur mehr gebe, sondern lediglich Juden und jüdische Kultur in Deutschland. Dahinter verbarg sich die Absicht, die Juden aus der deutschen „Volksgemeinschaft“ auszuschließen, eine „gewissermaßen kulturpolitisch flankierende Maßnahme“ zu den im September verkündeten Nürnberger Gesetzen.

Theateraufführung in der jüdischen Schule in Nürnberg. (Repro: nurinst-archiv, Sammlung Jacob Rosenthal)

Doch was unter jüdischer Kultur zu verstehen sei, fragten sich auch die über mehrere Generationen assimilierten deutschen Juden, wie etwa der Gründer des Berliner Kulturbundes Kurt Singer. „Jüdisches Publikum, jüdische Künstler, jüdische Bühnenbildner, jüdische Leiter, das aber ruft begierig zunächst einmal auch nach jüdischem Inhalt“, schrieb er in einem Leitartikel des „Israelitischen Familienblatts“. „Es bleibt daher Hauptaufgabe des Kulturbunds an der Pflege arteigener und eigenständiger jüdischer Kulturgüter mitzuwirken“, meinte die „Bayerische Israelitische Gemeindezeitung“. Und erinnerte daran, dass „allgemein künstlerische Veranstaltungen, die sich von den anderen in der großen Öffentlichkeit nur durch die Mitwirkung jüdischer Kräfte unterschieden, aber keine unterscheidende jüdische Note haben, Ausnahmen bleiben müssen“.

Es sollten verstärkt jüdische Kulturproduktionen auf die Bühne gebracht werden. Das waren in der Regel etwa Musik von Komponisten jüdischer Herkunft, wie etwa Moses Mendelssohns Oratorium über den Propheten Elias, liturgische Stücke oder auch jüdische Volksmusik. Von den Opern standen zumeist Jacques Offenbach mit „Hoffmanns Erzählungen“ und die „Schöne Helena“ oder Stücke mit vermeintlich jüdischen Motiven, wie „Nabucco“ von Giuseppe Verdi und „Samson und Dalila“ von Camille Saint-Saëns auf dem Spielplan. Aufgeführt wurden diese Stücke von eigenen jüdischen Musik- oder Theatergruppen, wie etwa dem 30-köpfigen Münchner Kulturbund-Orchester, von Synagogenchören, Kammermusik Ensembles oder dem Münchner Jüdischen Marionetten-Theater (MJMT).

Dieses Puppentheater hatte erstmals am 30. Januar 1935 in München mit dem Stück „Moses“ debütiert, eine Adaption der Novelle „Die ägyptische Knechtschaft“ von August Strindberg. Nach Ansicht der

Vorankündigung aus der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung, 15. Januar 1935. (Repro: nurinst-archiv)

„Theaterleitung soll Schauspiel wie kleine Oper, soweit für das Puppentheater geeignet, gepflegt werden; vor allem Werke entweder jüdischen Milieus oder jüdischer Autoren“, so die Gründer und betonten, dass ihr „Puppentheater kein Kasperltheater ist, kein Kindertheater – wenn selbstverständlich auch Kindervorstellungen geplant sind“. Mit seinen Produktionen wie etwa „Moses“, „Das Mädchen von Elizondo“, „Die Insel Tulipatan“, letzteres von Jacques Offenbach, oder „Das Gelöbnis“ von Perez Hirschbein wurden große Erfolge, nicht nur in München, sondern auch bei Gastspielen in Regensburg und Nürnberg erzielt. Letzte Aufführungen brachte die Truppe aller Wahrscheinlichkeit nach im März 1937 in München auf die Bühne. Danach verlieren sich die Spuren des MJMT, da die Spieler München verließen, sich den Kulturbünden in Berlin oder Hamburg anschlossen oder ab 1938 in die Emigration flohen.

Am 27. Oktober 1938 erging vom „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ Joseph Goebbels die Verfügung, dass ab sofort bis einschließlich 26. November sämtliche im Rahmen des Reichsverbandes der Jüdischen Kulturbünde stattfindenden jüdischen Veranstaltungen verboten seien. Bis zum 31. Dezember 1938 mussten alle regionalen Kulturbünde aufgelöst werden – außer dem Jüdischen Kulturbund Berlin, der unter dem neuen Namen „Kulturbund in Deutschland e. V.“, bis zur endgültigen Liquidation durch die Gestapo am 11. September 1941, jedoch nur sehr eingeschränkt tätig werden durfte.

Noch immer ist die Bedeutung des jüdischen Kulturbundes in Bayern für die bedrängte und verfolgte Minderheit im kollektiven Gedächtnis nur wenig verankert. Es war eine brutale Ausgrenzung und Demütigung seitens des NS-Regimes, aber auch der Versuch, der jüdischen Bevölkerung ihre künstlerische und geistige Existenz zu retten. Der Kulturbund war eine von Zweifeln und Unsicherheiten begleitete starke Gemeinschaft, die Halt und ein bisschen Zuversicht gab.

Quellen:

Jim G. Tobias, Es ist im Kulturleben unseres Volkes kein Jude mehr tätig. Der jüdische Kulturbund in Nürnberg 1934–38, in: Jim G. Tobias/Andrea Livnat (Hg.), nurinst 2022. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Schwerpunktthema: Kultur in der Zeit der Verfolgung und danach, Nürnberg 2022.

Dana Smith, Der Jüdische Kulturbund in Bayern. Ortsgruppe München 1934–1938, in: Alan E. Steinweis (Hg.), Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur. Judenverfolgung in München, Jg. 8 / Heft 2 (2014).