„Meine Heimat ist die deutsche Sprache“
Lion Feuchtwanger wurde am 7. Juli 1884 in München in eine großbürgerliche orthodoxe Familie geboren, die seit Jahrhunderten im süddeutschen Raum ansässig war. Das Ehepaar, Vater Sigmund Feuchtwanger und Mutter Johanna geb. Bodenheimer, hatte insgesamt neun Kinder, Lion war der Erstgeborene. Der Vater leitete eine Margarinefabrik in zweiter Generation. Lion besuchte die St. Anna Volksschule im Lehel und danach das elitäre Wilhelmsgymnasium. Zusätzlich wurden er und seine Geschwister durch einen Privatlehrer in Tanach und Talmud unterrichtet. Seine Jugend zwischen dem orthodoxen Elternhaus und dem nicht-jüdischen bayerischen Umfeld beschrieb Feuchtwanger mit folgenden Worten: „Wiewohl ich mich mit meinen Schuldkameraden gut vertrug und wiewohl wir zu Hause unser Deutsch mit dem gleichen breiten, kräftigen bayrischen Akzent sprachen […] fand ich mich von früh an gründlich verschieden von den anderen. Von meinen Eltern trennten mich tiefe und jugendlich hochmütige Zweifel an ihren Bräuchen und Meinungen, von meinen Lehrern und Kameraden trennte mich meine Vertrautheit mit allem, was jüdische Theologie anging.“
Aus dieser Vertrautheit erwuchs eine lebenslange Beschäftigung mit dem Judentum, auch wenn er mit zunehmenden Glaubenszweifeln als Abiturient den orthodoxen Lebensstil der Eltern in Frage stellen sollte. Die schriftstellerische Begabung zeigte sich schon als Jugendlicher, als Abiturient wurde er bereits Mitglied des literarischen Vereins „Phoebus“. 1903 legte er das Abitur ab und begann in München, mit einem kurzen Intermezzo in Berlin, ein Studium der Geschichte, Philosophie und Deutschen Philologie. Damit entschied er sich gegen eine kaufmännische Ausbildung und die Nachfolge in der Firma des Vaters, der dies aber akzeptierte, das Talent des Sohnes erkannte und das Studium unterstützte.
Bei einem Rezitationsabend des „Phoebus“ im Oktober 1904 wurde erstmals ein Werk Feuchtwangers öffentlich gelesen, ein Renaissancedrama mit dem Titel „Donna Bianca“. Bald entstanden weitere Einakter, die Lion Feuchtwanger als Zyklus angelegt hatte. 1905 wurden erstmals zwei seiner Einakter am Münchner Volkstheater inszeniert, der Abend geriet zum Debakel und die Stücke wurden verrissen. 1907 schloss Lion das Studium mit einer Promotion über Heinrich Heines Erzählung „Der Rabbi von Bacharach“ ab. Die Habilitation brach er ab, da die Aussichten für Juden im Universitätsbetrieb schlecht waren.
Ab 1909 arbeitete Feuchtwanger für die angesehene Zeitschrift „Schaubühne“ und wurde zu einem geschätzten Theaterkritiker. Bald schrieb er auch für die „Vossische Zeitung“, die „Frankfurter Zeitung“ und das „Berliner Tageblatt“. In dieser Zeit begann er nach seinen dramaturgischen Versuchen auch einen ersten Roman zu schreiben, der 1910 erschien.
Bei einem Ball im Hause Feuchtwanger lernte er Marta Löffler kennen. Marta wurde am 21. Januar 1891 in München geboren, ihre Eltern führten ein Geschäft für Damenbekleidung und Stoffe. Im Gegensatz zu den Feuchtwangers waren die Löfflers Reformjuden. Sie und Lion wurden bald ein Paar, eine Verbindung die bis ans Ende des Lebens halten sollte, trotz der zahlreichen Affären und außerehelichen Beziehungen Lions.
Im Frühjahr 1912 wurde Marta schwanger. Nach der Eheschließung am Bodensee brach das Paar zur Hochzeitsreise auf. Während einer Bergtour in der Schweiz traten bei Marta Wehen auf. In einem Krankenhaus in Lausanne wurde die Tochter Elisabeth Marianne geboren. Marta erkrankte am Kindbettfieber, von dem sie sich nur sehr langsam erholte. Die kleine Tochter starb im Alter von zwei Monaten, die Eltern waren von diesem Verlust schwer getroffen. Statt nach München zurückzukehren, reisten sie weiter an die Côte d’Azur, später über Sizilien nach Tunis, wo sie den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebten. Lion wurde verhaftet, Marta konnte seine Freilassung erreichen und das Paar kehrte nach zwei Jahren des Reisens nach München zurück.
In der kriegsbegeisterten bayerischen Hauptstadt angekommen wurde Lion bald eingezogen, aber nach wenigen Monaten aus gesundheitlichen Gründen entlassen. In den Kriegsjahren verfasste Feuchtwanger neun Theaterstücke und beendete seine feuilletonistische Arbeit als Kritiker. Von nun an lebte er von seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Der erste größere Erfolg stellt sich mit der Inszenierung des Stückes „Vasantasena“ – nach einer altindischen Vorlage – ein. Im September 1917 wurde Feuchtwangers „Jud Süß“ uraufgeführt, den Stoff sollte er später zu einem Roman umarbeiten, der ihm den internationalen Durchbruch brachte.
Politischen Entwicklungen gegenüber blieb Feuchtwanger zurückhaltend. Auch in Bezug auf den Zionismus, jüdischer Chauvinismus könne nicht besser als französischer oder deutscher sein, so seine Meinung. Er unterstützte jedoch jüdische Kulturarbeit und den kulturellen Zionismus. Auch an den revolutionären Agitationen 1918 beteiligte er sich nicht. Die Revolutions- und Rätezeit verarbeitete er in seinem Werk „Thomas Wendt“, ein „dramatischer Roman“, der eine Zäsur in seinem Werk darstellt. Neben Berthold Brecht gehört Lion Feuchtwanger zu den Begründern des epischen Theaters. Die beiden verband eine lebenslange Freundschaft.
Lion und Marta Feuchtwanger verließen 1925 München, das Lion einmal als „akademische, wichtigmacherische, spießbürgerliche Institution“ bezeichnete, und zogen nach Berlin. Die schwierige Beziehung zu München wird in Feuchtwangers Roman „Erfolg“ deutlich, der 1930 erschien und in Chiffren vom Aufstieg des Nationalsozialismus erzählt und mit der bayerischen Borniertheit abrechnet.
Nach sechs Jahren in einer Wohnung am Hohenzollerndamm zog das Ehepaar 1931 in eine Villa in Grunewald. Später verfasste Lion Feuchtwanger einen Offenen Brief an den Bewohner des Hauses: „Wie gefällt Ihnen mein Haus, Herr X? Lebt es sich angenehm darin? Hat der silbergraue Teppichbelag der oberen Räume bei der Plünderung durch die SA-Leute sehr gelitten?“
Schon früh war Feuchtwanger ins Visier der Nationalsozialisten gekommen. In einem Text von 1933 schrieb er in Bezug auf die Frage, ob er deutscher oder jüdischer Schriftsteller sei: „Ich pflege zu antworten, ich sei nicht das eine noch das andere: ich fühlte mich als internationaler Schriftsteller. Wahrscheinlich seien meine Inhalte mehr jüdisch betont, meine Form mehr deutsch.“ Seine Bücher seien „gefühlsmäßig jüdisch-national, verstandesmäßig international betont“. So erkläre es sich wohl, „dass sie von einigen Juden als antisemitisch, hingegen etwa von deutschen Nationalisten als schlaue jüdisch-nationale Tendenzmache wüst beschimpft werden“.
Feuchtwanger warnte schon früh vor dem Nationalsozialismus. Die „Knebelung des Geistes und der Kunst“ sei einer der wichtigsten Programmpunkte, Intellektuelle und Künstler hätten „Ausrottung““zu erwarten. Es sei „Gebot nackter Selbsterhaltung für alle Geistigen, mit ganzer Seele und ganzem Vermögen gegen das Dritte Reich zu kämpfen“, schrieb Lion Feuchtwanger bereits 1931. Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, befand sich Feuchtwanger auf einer Vortragsreise in den USA. Er kehrte nicht mehr nach Berlin zurück, wo bald seine Bücher verbrannt wurden. Im August 1933 wurde Lion Feuchtwanger ausgebürgert.
Nach einem Zwischenaufenthalt in der Schweiz ließen sich die Feuchtwangers im südfranzösischen Sanary-sur-Mer nieder, das zu einem Zentrum des deutschsprachigen Exils wurde. Berthold Brecht, Katja und Thomas Mann, Stefan Zweig und Hermann Kesten waren nur einige der deutschen Exilanten in der Kleinstadt an der Côte d’Azur. In der Zeit, die Lion Feuchtwanger in Südfrankreich lebte, brach er immer wieder zu Reisen auf, häufig nach Paris, wo Schriftsteller im Exil oft zusammenkamen, aber auch nach London, zur Premiere der Verfilmung „Jew Süss“, und im November 1936 nach Moskau. Sein Reisebericht erschien unter dem Titel „Moskau 1937“ und sollte seiner Reputation als Schriftsteller und Intellektueller empfindlich schaden. Aus einer Mischung von Fehleinschätzung und naiver Unwissenheit ließ er sich von der stalinistischen Propagandamaschinerie, die auch ein persönliches Treffen mit Stalin eingeplant hatte, einspannen. 1937 begann er auch die Arbeit am letzten Teil der Wartesaal-Trilogie, nach „Erfolg“ und „Die Geschwister Oppenheim“ mit „Exil“ betitelt.
Diese Arbeit ließ ihn trotz der zunehmend bedrohlichen Situation in Europa bleiben, obwohl die Feuchtwangers bereits ein Visum für die USA besaßen. Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen wurde Lion interniert. Marta Feuchtwanger konnte seine Freilassung aus dem Camp Les Milles erreichen. Doch das Paar zögerte die Überfahrt in die USA weiter hinaus, bis schließlich das Visum verfiel. Im Frühjahr 1940 wurde Lion erneut in Les Milles inhaftiert, Marta zunächst in Hyères, dann in Gurs. Nach ihrer geglückten Flucht aus Gurs konnte Marta auch die Befreiung von Lion organisieren, der mittlerweile in einem Lager bei Nimes gefangen gehalten wurde. Nach einem Zwischenaufenthalt in Marseille konnten die Feuchtwangers zu Fuß über die Pyrenäen flüchten. In Lissabon schiffte sich Lion nach New York ein, Marta folgte zwei Wochen später. Nach einem kurzen Aufenthalt in New York gelangte das Paar im Januar 1941 nach Los Angeles, wo sie sich dauerhaft niederließen.
Lion Feuchtwanger war erfolgreich und blieb das auch im Exil. Dennoch beschrieb er das Exil als „bittere Erfahrung, abgespalten zu sein vom lebendigen Strom der Muttersprache“. Er blieb jedoch produktiv, auch in der neuen Heimat. Im Frühjahr 1956 schrieb er an Arnold Zweig, er „ersticke geradezu in Stoffen der Bücher, die ich noch schreiben möchte“. Nach Deutschland reiste Feuchtwanger nicht mehr, obwohl ihm 1957 der Münchner Literaturpreis verliehen wurde. Als staatenloser Schriftsteller war ihm das Risiko, nicht mehr in die USA einreisen zu können, zu groß.
Lion Feuchtwanger starb am 21. Dezember 1958 an den Folgen einer Krebserkrankung. Marta Feuchtwanger folgte ihm erst 30 Jahre später und starb am 25. Oktober 1987 in Los Angeles. Feuchtwangers Romane wie etwa die Wartesaal-Triologie, die Josephus-Trilogie und die „Die Jüdin von Toledo“ gehören zum Kanon der deutschen Literatur. Zwei Jahre vor seinem Tod sagte Lion Feuchtwanger in Los Angeles nach seiner Heimat befragt: „Ich habe all mein Leben hindurch in deutscher Sprache gedacht, ich glaube, meine Heimat ist die deutsche Sprache.“
Quellen:
Nele Holdack u. a. (Hg.), Lion Feuchtwanger, Bin ich deutscher oder jüdischer Schriftsteller? Betrachtungen eines Kosmopoliten, Berlin 2023.
Andreas Heusler, Lion Feuchtwanger. Münchner – Emigrant – Weltbürger, Salzburg 2014.
Heike Specht, Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis im deutsch-jüdischen Bürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2006.
Eva-Maria Herbertz, Leben in seinem Schatten. Frauen berühmter Künstler, München 2010.