„Ich war dick und rothaarig und hatte den Herrn Jesus umgebracht“

Die Schauspielerin Therese Giehse (1898–1975)

Therese Giehse wurde am 6. März 1898 in München als Tochter des jüdischen Kaufmanns Salomon Gift und seiner Frau Gertrude geboren. Therese hatte zwei ältere Brüder und zwei ältere Schwestern, sie war die Nachzüglerin, die Eltern schon relativ alt für ein weiteres Kind. Die Mutter Gertrude stammte aus New York, wo das Paar auch heiratete. Die Familie von Thereses Vater stammte aus dem Landkreis Donau-Ries. Der Vater war herzkrank, so dass Therese als Kind früh lernen musste, sich „still und rücksichtsvoll zu verhalten“, wie sie sagte. Der Vater starb als sie 13 Jahre alt war. Über ihr Judentum sagte sie: „Wir sind keine orthodoxen Juden, aber ich wurde religiös erzogen, und mein Glaube bedeutet mir nach wie vor viel.“ Therese Giehse beschrieb sich selbst als ein zurückhaltendes, nachdenkliches Kind, eine Außenseiterin. Die Grundschule am Sankt-Anna-Platz habe sie nicht gerne besucht, da sie viel gehänselt wurde. Nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern vor allem auch wegen ihrer jüdischen Herkunft. Der kurze Schulweg war für sie oft von antisemitischen Hänseleien begleitet. „Ich war dick und rothaarig und hatte den Herrn Jesus umgebracht“, fasste sie es später zusammen.

Therese Giehse, 1919 (Foto: Monika Sperr)

Während ihre Brüder im Ersten Weltkrieg für Deutschland kämpften, half Therese zuhause im Textilgeschäft der Familie, das seit dem Tod des Vaters von ihrem Bruder geführt wurde. Den Traum, zum Theater zu gehen, versuchte ihr die Familie auszureden, mit dem Argument, sie entspräche nicht dem Schönheitsideal der Zeit. Sie schafft es, bei Albert Steinrück vorzusprechen, der in diesen Tagen im Residenztheater arbeitete. Er verwies Therese an Tony Wittels-Stury, bei der sie zwischen 1918 und 1920 Unterricht nahm. Ihre Schwester Irma dachte sich den Künstlernamen aus, den Therese annehmen sollte. Sechs Jahre lang schlug sich Therese Giehse zunächst mit Saisonverträgen auf kleineren Bühnen durch, in Siegen, Gleiwitz, Landshut, an der Bayrischen Landesbühne und in Breslau. In einem Interview erzählte sie, dass sie von Anfang an viele alte Rollen gespielt habe. Sie sei zu dick gewesen, um beispielsweise ein Gretchen zu spielen. 1925 kehrte sie nach München zurück und erhielt Anstellung an den neu eröffneten Kammerspielen unter Otto Falckenberg, zunächst in einer Nebenrolle, bald mit wachsendem Erfolg und schließlich als überaus beliebte Volksschauspielerin vom Publikum verehrt.

Begeisterung erhielt sie auch von unerwarteter Seite. „Endlich ein deutsches Weib in diesem verjudeten Haus“, schrieb der Völkische Beobachter. Offenbar war Giehses jüdische Herkunft nicht bekannt. Zu ihrem Publikum zählte auch Adolf Hitler, der sie als „völkische Künstlerin, wie man sie nur in Deutschland findet“ bezeichnet. „Allerdings bekämpfe ich ihn lieber, statt ihn zu vergnügen“, kommentierte die Giehse.

Ein Kampf, den sie mit ihren Mitteln ausfocht. In dieser Münchner Zeit lernte Giehse Thomas Mann und dessen Kinder Erika und Klaus kennen. Gemeinsam mit dem Komponisten und Pianisten Magnus Henning gründeten sie am 1. Januar 1933 das literarische Kabarett „Die Pfeffermühle“.
Erika Mann schrieb später: „Am 1. Januar 1933 – 29 Tage vor Antritt des neuen Kanzlers – eröffneten wir in der Münchner Bonbonnière ‚Das literarische Cabaret, die Pfeffermühle‘. Gründer: Klaus und ich, die Giehse und Magnus Henning, unser Musikus. Was wollten wir? Die Nazis bekämpfen. Deshalb nannten wir uns literarisch. Aus Berechnung und – obwohl wir auch das waren – unvermeidlich, quasi heillos, von Hause aus. Regie: Giehse; Star: Giehse; Co-Direktion: Giehse.“

Lange konnte das beißende Kabarett nicht folgenlos bleiben. Schon im März erhielt Giehse einen Hinweis auf eine Denunziation und macht sich mit kleinem Handgepäck auf den Weg in die Schweiz zur Familie Mann. In Zürich feiert die „Pfeffermühle“ im Gasthaus „Zum Hirschen“ große Erfolge und tourte auch durch die Tschechoslowakei und die Niederlande. Über 1.000 Vorstellungen sollte es geben. In England heiratete Therese Giehse, selbst lesbisch, den homosexuellen Schriftsteller John Hampson. Aus Deutschland ausgebürgert, ermöglichte ihr die Ehe einen britischen Pass und damit Reisefreiheit. Die Beiden blieben bis zum Tod von John Hampson freundschaftlich verbunden. In den USA konnte die „Pfeffermühle“ nicht an die europäischen Erfolge anknüpfen. Giehse kehrte in die Schweiz zurück, wo ihr ein Engagement am Schauspielhaus Zürich angeboten wurde. 1939 gelang es Therese Giehse, ihre Schwester Irma und den Hund Daisy nach Zürich nachzuholen.

In Zürich sollte sie eine ihrer bedeutendsten Rollen spielen. Am 19. April 1941 stand sie mit großem Erfolg in der Titelrolle in der Uraufführung von Berthold Brechts Mutter Courage und ihre Kinder auf der Bühne. Viele weitere Rollen unter Brecht machten sie, neben Helene Weigel, zur ultimativen Brecht-Darstellerin.
Nach 1945 arbeitete Therese Giehse viel in Berlin mit Brecht und ab 1949 auch wieder an den Münchner Kammerspielen, wo sie in zahlreichen Rollen zu sehen war. Nach einer Mutter Courage-Inszenierung unter Brecht in München notierte der Regisseur: „In der Münchener Aufführung nach dem Berliner Modell zeigte die Giehse, die die Rolle der Courage während des Weltkriegs in Zürich kreiert hatte, wie ein großer Schauspieler das Arrangement und theatralische Material einer Modellaufführung zur Ausgestaltung einer eigenen und unverwechselbaren Figur benutzen kann. Sie erfand dabei immerzu schöne Änderungen, die auch für das Modell Bereicherungen darstellen.“ Giehse sagte über Brecht wiederum: „Das Erlebnis Brecht ist einfach das größte, das man haben konnte.“

Sie blieb auch dem Zürcher Schauspielhaus treu, wo sie unter anderem in den Uraufführungen von Friedrich Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame und Die Physiker zu sehen war, und wirkte in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit. Ende der 1960er Jahre begeisterte sie sich für den jungen Regisseur Peter Stein und sein Kollektiv-Theater und wirkte 1970 bei der Neueröffnung der Berliner Schaubühne in der Inszenierung von Maxim Gorkis Die Mutter in der Titelrolle mit. Das sei künstlerisch etwas Ungeheureres gewesen, sagte sie in einem Interview. Sie habe die Jungen gespürt, den Aufbruch zu einem neuen Theater. Sie als Jüdin, als kritische Linke, die ins Exil hatte fliehen müssen, war für die Titelrolle der Pelagea Wlassowa, eine einfache Arbeiterin, die an der Seite ihres Sohnes zur Kommunistin wird, wie geschaffen.

In Bayern bleibt Therese Giehse auch als „Tschalies“ Oma aus Helmut Dietls Münchner Geschichten in Erinnerung, ihre letzte Rolle, in der sie so sehr ihren Humor und ihre bayerische Herkunft vereinte.
Therese Giehse starb 1975 kurz vor ihrem 77. Geburtstag in München. Die Gedenkfeier in den Münchner Kammerspielen ist mit dem Tod des Regisseurs Paul Verhoeven verbunden, der während des Nachrufs auf die große Schauspielerin an Herzversagen verstarb. Therese Giehse wurde auf ihren Wunsch hin neben ihrer Schwester Irma in Zürich bestattet.

Briefmarke der Deutschen Bundespost, herausgegeben 1988

Ihre Freunde und Weggefährten beschrieben Therese Giehse als Mensch, der viel alleine war. Und so sagte sie auch über sich selbst: „Ich bin ein alleiniger Mensch“. Gleichzeitig war sie aber von Freunden, denen sie oft ein Leben lang die Treue hielt, umgeben. Auch ihren unverwechselbaren Humor erwähnen alle Weggefährten. Nach dem Geheimnis ihrer Kunst gefragt antwortete sie: „Ich glaube, dass die große Stärke des Judentums doch sehr in meinem Können zum Ausdruck kommt. Das Bayrische ebenfalls – aber wie gesagt, vor allem das Jüdische.“ Doch sie hielt auch die Bergpredigt für so schön, dass sie sie für sich übernommen hatte.

Therese Giehse hasste Klischees und blieb sich selbst ein Leben lang treu, sowohl im privaten wie auch in ihrem Bühnenleben. Oder wie sie einmal ihre eigene Aussage rekapitulierte: „Erst muss man mit sauberen Füßen auf der Erde stehen, auf der Seite der Gerechtigkeit mit unverschmiertem Gefühl und unegoistischem Sinn für das Reale. Von da aus soll man starten. Ja, das gilt für alles, auf alles bezogen, das ist es, was soll man anderes tun?“

Quellen:

Renate Schmidt, Therese Giehse. „Na, dann wollen wir den Herrschaften mal was bieten!“, Biografie, München 2008.

Irma Hildebrandt, Bin halt ein zähes Luder. 15 Münchner Frauenporträts, München 2006.

https://www.uni-regensburg.de/assets/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/didaktik-geschichte/dateien-heike/strasse-in-bayern/biografie_therese_giehse_m__nchen.pdf

https://www.youtube.com/watch?v=ARMy5ne0y8c