Wolfratshausen: „Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande“

„Wir lebten wie auf einer Insel, lernten mit- und voneinander“

Am 13. Juni 1926 wurde vom Jüdischen Frauenbund, Ortsgruppe München, in Wolfratshausen die „Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande” eröffnet. Damit entstand eine Ausbildungsstätte für jüdische Mädchen, die im Internat lebend hier einen Lehrgang absolvieren konnten, der ihnen hauswirtschaftliche und landwirtschaftliche Grundlagen vermittelte und damit als Basis für weiterführende wirtschaftliche, soziale und pädagogische Berufe vermittelte. Einzigartig war die Verknüpfung mit landwirtschaftlicher Grundausbildung, die später auch als Hachschara anerkannt wurde. Bis zu 100 Schülerinnen wurden in den Lehrgängen jährlich ausgebildet. Nach 1933 wurde die Schule zur Zuflucht für jüdische Mädchen, die ansonsten keinerlei Ausbildungsmöglichkeiten mehr hatten.

Anzeige aus der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung, 15. Januar 1929. (Repro: nurinst-archiv)

In Wolfratshausen hatte es bereits seit 1921 ein jüdisches Land- und Erholungsheim für Kinder gegeben, wo zeitgleich bis zu 60 Kinder untergebracht werden konnten. 1930 wurde das Heim mit schwindender Nachfrage zu einem allgemeinen jüdischen Erholungsheim umfunktioniert, das dann auch durch den Jüdischen Frauenbund München betrieben wurde. Die Wirtschaftliche Frauenschule war in zwei Gebäuden in unmittelbarer Nachbarschaft untergebracht. Neben einer großen Villa diente die Kronmühle, ein altes Bauernhaus, als Ausbildungsstätte. Darin war neben der koscher geführten Lehrküche auch Waschküche und Molkerei untergebracht. Die große Bauernstube diente als Wohn- und Esszimmer der Mädchen. Die Häuser waren von einem großen Garten mit Obstbäumen und Gemüseanbau umgeben, wo auch Hühner und Enten gehalten wurden.

Die jüdische Frauen- und Mädchenschule bestand aus dieser großen Villa und einem Nebengebäude, einem Bauernhaus, der sogenannten Kronmühle. (Foto: Peter Karl Müller, Kirchheim/Ries)

„Erziehung zur Arbeit und innigste Verbindung mit der Natur sind die Vorzüge unserer wirtschaftlichen Frauenschule in Wolfratshausen“, schrieb Elise Neumeyer in einem Beitrag für die Bayerische Israelitische Gemeindezeitung. Der Standort war bewusst gewählt worden, um die Ausbildung in der Natur zu ermöglichen. Daneben war die Vermittlung von jüdischen Werten und Tradition das wichtigste Anliegen der Schule, die wie es auch in Anzeigen in der jüdischen Presse hervorgehoben wurde, „streng rituell geführt“ war.

Am 8. Juni 1926 schrieb die Bayerische Israelitische Gemeindezeitung: „Durch die Jugend geht gerade jetzt, da wir von Hass und Verleumdung umbrandet sind, der Wunsch, die eigenen Sitten und Lehren kennenzulernen, sich selbst ein Urteil zu bilden, selbst die Entscheidungen zu treffen.“ Dabei wurden für die Schule ganz bewusst Mädchen mit unterschiedlichen Hintergründen ausgewählt, „Mädchen aus orthodoxen und liberalen, aus deutsch und palästinisch eingestellten Familien“, die nebeneinander lernten und arbeiteten.

Seit 1934 wurde die landwirtschaftliche Ausbildung in Wolfratshausen als Hachschara anerkannt, also als Vorbereitung für die Auswanderung nach Palästina. Hatte sich der Jüdische Frauenbund zuvor in Bezug auf die zionistische Ausrichtung zurückgehalten, war nach 1933 klar, dass die Schule in Wolfratshausen eine wichtige Chance für die Mädchen bot, sich auf die Auswanderung vorzubereiten.

Im Sommer 1936 waren 73 Schülerinnen an der Schule, die jetzt eine der letzten Ausbildungsmöglichkeiten für Jüdinnen war. Im letzten Jahrgang überwogen dann auch die Schülerinnen der Hachschara Abteilung, deren Lehrplan weniger Theorie und mehr Gartenarbeit beinhaltete. Daneben erhielten die Mädchen auch Unterricht in Hebräisch, Englisch und Französisch und konnten Vorträgen von aktueller Relevanz, wie etwa von Martin Buber, hören.

Auch wenn die Schule lange eine Oase inmitten von Hass und Bedrohung blieb, auch hier war der Druck auf die jüdische Anstalt zunehmend zu spüren. Spätestens 1936 mit dem Amtsantritt von Bürgermeister Heinrich Jost, der gegen „die Judenweiber“ hetzte, wurde die Atmosphäre feindlich. Nachdem bereits die Pacht der Grundstücke für Gemüseanbau und Geflügelzucht gekündigt worden waren, gab es auch tätliche Angriffe auf die Schule. Am 10. November 1938 wurde die Schule geschlossen, Lehrerinnen und Schülerinnen mussten innerhalb von zwei Stunden die Stadt verlassen. Das Wolfratshauser Tagblatt verkündete: „Wolfratshausen wurde judenfrei!“ Damit sei „endlich ein Schandfleck beseitigt, der schon längst bei der artbewussten Bevölkerung Anstoß erregte.“ Nachdem die Bewohnerinnen vertrieben worden waren, musste die Israelitische Gemeinde München das Gebäude verkaufen und Angestellte der Wolfratshauser Munitionsfabriken zogen ein. Nach Ende des Krieges diente die Kronmühle vorübergehend als Unterkunft für jüdische Displaced Persons.

Quellen:

Jüdische wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande in Wolfratshausen bei München, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung vom 8. Juni 1926.

Die wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande in Wolfratshausen, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung vom 1. Juli 1926.

Elise Neumeyer: Wolfratshausen, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, vom 1. Mai 1931.

Kirsten Jörgensen/Sybille Kraft, „Wir leben in einer Oase des Friedens…“. Die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule 1926–1938, München 2009.