Lachoudisch, die vergessene Sprache der fränkischen Juden

„Scholem Alechem in der Medine“

Wenn man dem Schoufet (Bürgermeister) der mittelfränkischen Marktgemeinde Schopfloch vormittags einen Besuch abstattet, kann es sein, dass Oswald Czech den Gast mit einem freundlichen Joufn Bauker (guten Morgen) begrüßt. Freilich sollte die Visite an einem Werktag erfolgen, denn am Schabbes ist das Rathaus geschlossen.

Nicht nur der Bürgermeister wird mit einem aus dem Hebräischen abgeleiteten Wort bezeichnet. Die örtlichen Bauern wünschen sich zum Neujahrsfest Massl Brouche (Glück und Segen) und hoffen, dass ihre Kaserem (Schweine) im Stall nicht krank werden, und wer beim Bäcker ein Brot kaufen möchte, verlangt einen Laib Läechem. Falls ein Israeli sich nach Schopfloch verirren sollte, würde er sich wahrscheinlich ein bisschen wie Zuhause fühlen. Lachoudisch ist ein Zeugnis der reichhaltigen jüdischen Kultur, die es ab dem 12. Jahrhundert in Franken gegeben hat. Die letzten Juden von Schopfloch wurden in der Nazizeit vertrieben oder ermordet – doch ihre Sprache wird noch von einigen Menschen vor Ort am Leben erhalten.

Die Synagoge in Schopfloch (Mittelfranken) wurde in der Pogromnacht angezündet und später abgebrochen. (Repro: nurinst-archiv)

Denn ein bisschen stolz sind die Schopflocher auf ihre jahrhundertealte Geheimsprache schon. Diese Besonderheit hat der kleinen Marktgemeinde mit ihren knapp 3.000 Einwohnern schließlich weltweite Aufmerksamkeit beschert – spätestens seit die New York Times vor einigen Jahrzehnten dem Phänomen dieser Sprache eine ganze Seite widmete.

Ausriss aus der New York Times. (Repro: nurinst-archiv)

Der Name Lachoudisch lässt sich vom Jiddischen Loschn (Sprache) und von der Verballhornung des hebräischen haKodesch (heilig) ableiten. Das Idiom besteht mehrheitlich aus hebräischen Wörtern, der Rest stammt aus dem Jiddischen, wurzelt im Fränkischen oder der Gaunersprache Rotwelsch.

Menschen, die mit Lachoudisch als Muttersprache aufgewachsen sind, gibt es jedoch inzwischen praktisch keine mehr. Einer der letzten war der 2015 verstorbene Hans Rosenfeld. Er wurde 1926 als Kind jüdischer Textilunternehmer in Schopfloch geboren und musste 1937 mit seiner Familie vor dem Terror der Nazis fliehen – zunächst nach Argentinien, dann in die USA.

Neben Bürgermeister Oswald Czech ist Jutta Breitinger eine der wenigen in Schopfloch, die das Lachoudische noch fast perfekt beherrschen. Sie bemühen sich diesen Teil des kulturellen Erbes zu bewahren. Bis zu ihrer Pensionierung hatte Frau Breitinger im Schopflocher Rathaus gearbeitet; noch immer betreut sie den über 400 Jahre alten jüdischen Friedhof im Ort. Und sie setzt sich leidenschaftlich dafür ein, dass Lachoudisch nicht ausstirbt. „Olf, Bejs, Gimmel, Dollet, Hej, Fouf, Sojn, Kess, Tess, Jus, das sind die Zahlen von eins bis zehn“, erzählt sie. „Bajes ist das Haus, Bizemli sind Eier, Buser ist das Fleisch, a Soref ist ein Schnaps, Majim ist Wasser und Jajem ist Wein. Ein Viertel der Bevölkerung war ja mal jüdisch“, weiß sie zu berichten.

Dass sich nach und nach auch immer mehr Nichtjuden die Sprache zu eigen machten, hatte seinen Ursprung ausgerechnet in der Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Minderheit. Denn ihr war es fast überall verboten, ihren Lebensunterhalt als Bauern oder Handwerker zu bestreiten, weshalb sich viele auf den Handel verlegten – insbesondere der Viehhandel wurde zum klassischen Erwerbszweig der fränkischen Juden. „Dafür aber waren sie oftmals auf christliche Vermittler angewiesen – auf Lachoudisch „Schmuser“, berichtet Altbürgermeister Hans-Rainer Hofmann. Denn die Märkte waren zumeist am Samstag, am Schabbes, erklärt er. „Da durften die Juden aber keinen Handel treiben und nicht mit Geld hantieren. So gingen diese Schmuser dann auf die Märkte und haben dann für den Juden gehandelt.“ Dadurch fanden zahlreiche hebräische, aber auch jiddische Ausdrücke ihren Eingang in die alltägliche Sprache. Hans-Rainer Hofmann ist einer der Experten für Lachoudisch und hat sogar ein Wörterbuch herausgegeben.

Auch die Namen vieler Fest- und Feiertage scheinen direkt aus dem hebräischen Kalender übernommen worden zu sein. Rosche Schune ist Neujahr, Ostern wird als Pessach bezeichnet und der Samstag ist selbstverständlich der Schabbes. Bei den Monatsnamen ist ebenfalls eine frappierende Ähnlichkeit zum Hebräischen festzustellen. Nach dem Scharr (Januar) folgt der Addar (Februar), der Nissn (März), der Itter (April) und der Wonnemonat Mai wird als Schwan bezeichnet.

Aufgrund welcher Ursachen entwickelte sich aber ausgerechnet in Schopfloch diese „Geheimsprache“? Neben der starken jüdischen Präsenz im Handelsbereich sind zwei weitere Gründe anzuführen: Schopfloch liegt genau in der Mitte der beiden mittelalterlichen Städte Dinkelsbühl und Feuchtwangen. Zudem ist die schwäbische Landesgrenze nur wenige Kilometer entfernt. Diese äußerst verkehrsgünstige Lage trug dazu bei, dass sich der Handel in Schopfloch außergewöhnlich gut entfalten konnte.

Seit vielen Jahren bemüht sich die Verwaltung von Schopfloch das Lachoudische vor dem Aussterben zu bewahren. Hans-Rainer Hofmann, der als Bürgermeister 24 Jahre die Geschicke der „Medine“ bestimmte, erlag seinerzeit gleich bei seiner Amtsübernahme 1978 der Faszination der exotischen Sprache. Als er zum ersten Mal im Gasthaus sein Feierabendbier trinken wollte, tuschelten die Männer vom Stammtisch untereinander: „Rojnt! Der Schoufet hockt im Juschbess un schasgenet sein Schäecher“ (Schau! Der Bürgermeister sitzt im Wirtshaus und trinkt sein Bier). Hofmann verstand nicht ein einziges Wort – doch sein Interesse war geweckt. Fortan hörte er genau zu, ließ sich die Wörter erklären und schrieb alles auf.

Wenn Sie nun Lust bekommen haben mehr über diese geheimnisvolle Sprache zu erfahren, besorgen Sie sich das Buch von Hans-Rainer Hofmann „Lachoudisch sprechen“ oder planen Sie einen Ausflug nach Schopfloch. Vielleicht treffen Sie dort noch einige Alteingesessene beim sonntäglichen Frühschoppen. Dann setzen Sie sich dazu, bestellen ein Schäecher oder gar einen Soreff und belauschen die Gespräche am Nachbarstisch. Lechajm!

Quellen:

Das Buch „Lachoudisch sprechen: Sprache zwischen Gegenwart und Vergangenheit“ von Hans-Rainer Hofmann ist leider vergriffen, jedoch antiquarisch noch erhältlich.

Im August 2023 sendete Deutschlandfunk Kultur das Radio-Feature „Lachoudisch – Eine vergessene bayerische Sprache“. Zum Feature auf Deutschlandfunk Kultur.