Hans Lamm – Der jüdisch-bayerische Remigrant

„… zu München Ja zu sagen, fällt mir nicht schwer.“

Hans Lamm wurde am 6. Juni 1913 in München geboren. Sein Vater Ignaz Lamm betrieb eine Metallschmelze, die Mutter Martha geb. Pinczower war Lehrerin. Das Ehepaar war kurz vor der Geburt von Hans älterem Bruder Heinrich aus dem schwäbischen Buttenwiesen nach München gekommen. Die Familie lebte im Stadtteil Lehel und führte einen traditionellen jüdischen Haushalt, der die Speisegesetze und Feiertage einhielt. Während sich die Familie der Orthodoxie zugehörig sah, pflegte sie gleichzeitig einen weltoffenen Umgang mit der nichtjüdischen Umgebung.

Große Veränderungen setzten für die Familie Lamm mit der Weltwirtschaftskrise 1929 ein, die den wirtschaftlichen Abstieg des väterlichen Geschäfts weiter beschleunigte. Mutter Martha entschloss sich, wieder berufstätig zu werden, begann eine Ausbildung zur Psychotherapeutin und trug zum Familieneinkommen bei. Bald jedoch erkrankte Martha Lamm an einer Psychose, die sie in eine Heil- und Pflegeanstalt brachte, wo sie 1931 verstarb. Für Hans Lamm war das ein sehr schwerer Verlust, nicht nur der geliebten Mutter, sondern auch der Bezugsperson, die ihn stets in seinen Interessen unterstützt und seine ersten Schreibversuche begrüßt hatte.

Hans begann schon als Schüler regelmäßig Beiträge für die Schülerzeitung zu verfassen. Gemeinsam mit seinem Freund Fritz Rosenthal, der später unter dem Namen Schalom Ben Chorin bekannt werden sollte, rief er 1933 eine Zeitung für jüdische Jugendliche ins Leben.

Nach dem Abitur an der Luitpold Schule begann Hans Lamm zunächst ein Jurastudium in München. Nach drei Semestern wechselte er zu Zeitungswissenschaft, da er fürchtete, nach der sog. Machtergreifung nicht als Rechtsanwalt arbeiten zu können. Nach nur drei Semestern musste er die Universität endgültig verlassen. Er arbeitete als Journalist und schrieb sowohl für verschiedene Gemeindezeitungen und war auch in der jüdischen Gemeinde, im Bereich Erziehung und Wohlfahrt, aktiv tätig.

Die zunehmenden antisemitisch bedingten Berufseinschränkungen ließen Lamms Überlegungen einer Emigration weiter reifen. Zunächst schloss er sich jedoch nicht seinem Bruder an, der mit seiner Frau in die USA gegangen war. 1936 zog Hans Lamm nach Berlin und studierte drei Semester an der Hochschule für jüdische Wissenschaft. Nicht etwa, um Rabbiner zu werden, denn den Weg des orthodoxen Judentums hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen, wohl aber, um sein jüdisches Wissen zu vertiefen.
Im Sommer 1938 entschied er sich, dem Bruder zu folgen und konnte in die USA emigrieren, wo er sich zunächst als Aushilfskraft in einem Drugstore durchschlagen musste. Später arbeitete er in einem jüdischen Kinderheim und studierte Soziologie. Auch Vater Ignaz und dessen Schwester konnten Ende 1938 noch emigrieren, nachdem der Vater aus einer kurzen Haft im Konzentrationslager Dachau entlassen worden war.

Hans Lamm beendete sein Studium in Washington mit einem M.A. in Social Work, das die praktische Sozialarbeit einbezog und begann in verschiedenen amerikanisch-jüdischen Wohlfahrtsorganisationen zu arbeiten. Unmittelbar mit Kriegsende zog es Lamm zurück nach Deutschland, „wie weit es sublimiertes Heimweh, wie weit es der Wunsch, den befreiten Juden (…) behilflich zu sein und wie weit es die journalistische Neugier war, bei historischem Geschehen ‚dabei zu sein‘, das sei dahingestellt“, erinnerte er sich später.

Als Abgesandter einer kleinen Delegation der American Jewish Conference kam er im November 1945 nach Deutschland, um für der Verbesserung der Lebensbedingungen von jüdischen DPs zu sorgen. Sowohl die Situation der Schoa-Überlebenden, wie auch die allgemeine Versorgungslage und Zerstörung in Deutschland entsetzten ihn.

1946 war Hans Lamm als Übersetzer bei den Verhandlungen des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg tätig. Eine nervenaufreibende, wenn auch interessante Arbeit, die ihn täglich mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten und ihren Hauptakteuren konfrontierte: „Sie sehen so unglaublich unbedeutend und normal aus, dass man sich die Macht, die sie in den Händen konzentriert hatten, und das unsägliche Elend, das sie verursachten kaum vorstellen kann.“ Neben dieser Tätigkeit nahm er in Erlangen erneut ein Studium auf und promovierte bei Hans-Joachim Schoeps „Über die innere und äußere Entwicklung des deutschen Judentums 1933–1945“. Gleichzeitig arbeitete er journalistisch, war Auslandskorrespondent und berichtete für den New Yorker AUFBAU über die Nürnberger Prozesse und den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland.

Noch entschied sich Lamm nicht zu einer endgültigen Rückkehr nach Deutschland. Ein Grund dafür war sicherlich auch seine Enttäuschung über die fehlende Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus. In einem Leserbrief schrieb Lamm: „Ich habe nie an eine Kollektivschuld geglaubt und lehne heute wie eh und je jedwede Verallgemeinerung über ‚die Deutschen‘ ab. Dass es aber nicht den leisesten Hauch einer ‚Kollektiv-Reue‘ (von der Individual-Reue ganz zu schweigen!) und eines echten (nicht opportunistischen) Willens zur Wiedergutmachung gegeben hat – das hat die Welt enttäuscht.“ Aber auch beruflich hatte sich in Deutschland keine Perspektive aufgetan, eine erhoffte Stelle am Münchner Institut für Zeitgeschichte hatte er nicht bekommen.

Zwischen 1951 und 1953 lebte Lamm noch einmal in den USA, zunächst in Pennsylvania, dann in New York, wo er das Informationsbüro für Geschichte der „American Jewish Historical Society and American Tercentary“ leitete. Im Sommer 1955 erhielt Lamm dann das Angebot, das neugegründete Kulturdezernat des Zentralrates der Juden in Deutschland zu leiten. Nach seiner zweiten Rückkehr sollte Lamm aktiv das jüdische Kulturleben in Deutschland mitgestalten, sowohl in seiner Funktion als Kulturdezernent wie auch als Gründer des Ner-Tamid-Verlags (1957). Zum 800-jährigen Stadtjubiläum erschien 1958 das Gedenkbuch Von Juden in München.

Hans Lamm überreicht Oberbürgermeister Thomas Wimmer sein Buch „Von Juden in München“.
(Foto: Stadtarchiv München – DE-1992-FSRD-2032C07)

1961 kam Lamm nach München zurück, wo er als Abteilungsleiter an der Münchner Volkshochschule in der Erwachsenenbildung arbeitete und auch als Vortragender und Teilnehmer an Diskussionsveranstaltungen bekannt wurde. Daneben schrieb er weiter für jüdische Medien und engagierte sich im christlich-jüdischen Dialog.

1970 wurde Hans Lamm zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gewählt, eine Position, die er bis zu seinem Tod innehalten sollte. Seine Wahl stieß eine Öffnung der Gemeinde an, die Lamm aktiv unterstützte. „Uns haften noch die Eierschalen des Ghettos an und ihrer müssen wir ledig werden: Um unser Willen und kommenden Generationen wegen, aber auch um des Judentums willen, wenn wir es nicht als Mumie bewahren, sondern als lebendige Kraft erhalten wollen“, so Lamm.

Hans Lamm bei der Grundsteinlegung des Gemeindehauses, Oktober 1971. (Foto: Stadtarchiv München – DE-1992-FS-STB-1005)

Auf die Frage, ob er sich als Deutscher mit dem Land und seinen Menschen identifizieren könne, antwortete er zwei Jahre vor seinem Tod: „Natürlich hat der Krieg in meinem Verwandtenkreis, in meinem Freundeskreis Opfer gefordert, Lücken gerissen, die ich nicht verwinden kann, und die ich nicht mit einem Zuckerguss des Vergessens oder gar Vergebens wovon gar net die Rede sein kann, verniedlichen will. (…) Ob ich mich als deutscher Jude oder als jüdischer Deutsche empfinden würde, wollen wir offen lassen. Aber zu München Ja zu sagen, fällt mir nicht schwer.“ Hans Lamm starb am 23. April 1985.

Quellen:

Andrea Sinn, „Und ich lebe wieder an der Isar.“ Exil und Rückkehr des Münchner Juden Hans Lamm, München 2008.

Brigitte Schmidt, Hans Lamm, in: Manfred Treml/Wolf Weigand (Hg.), Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe, München 1988.

Hans Lamm (Hg.), Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München, München 1982.