Leo Baerwald – Rabbiner

Leo Baerwald wurde am 20. September 1883 im böhmischen Saaz in eine Familie von Rabbinern und Gelehrten geboren. Vater Aron Baerwald war Rabbiner in Saaz. Mutter Fanny, geb. Lazarus, war die Tochter von Rabbiner Leiser Lazarus, dem Rektor des Jüdischen-Theologischen Seminars in Breslau. Leo wuchs nach dem Umzug der Familie in München auf und besuchte dort das Wilhelmsgymnasium, wo er 1902 das Abitur machte. Zum Studium ging er nach Breslau, wo er sich neben der Ausbildung am Jüdisch-Theologischen Seminar auch an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Philosophie einschrieb. 1905 promovierte er an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen über „Die Entwicklung der Lotzeschen Psychologie“. Im Anschluss arbeitete er an einer Religionsschule in Breslau und wurde am Jüdisch-Theologischen Seminar zum Rabbiner ordiniert. In Breslau lernte Baerwald auch seine Frau Jenni Blumenthal kennen.

Aus Breslau kehrte er nach München zurück, wo er eine Anstellung fand, zunächst als zweiter Rabbiner. An seiner alten Schule unterrichtete er bis 1936 jüdische Religion. Während des Ersten Weltkriegs war Baerwald als Feldrabbiner an der Westfront und berichtete dazu auch ausführlich in der jüdischen Presse. Baerwald wurde mit dem bayerischen Militärverdienstorden 4. Klasse und mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet.

Nach dem Krieg wurde Baerwald zum Nachfolger des Münchner Gemeinderabbiners Dr. Cosman Werner gewählt. Bis zu seiner Emigration prägte er die Gemeinde nachhaltig, nicht zuletzt da er als liberaler Rabbiner auch Orthodoxe und Zionisten der Stadt einzubinden wusste. Jenny Baerwald war als Vorsitzende des Jüdischen Frauenbundes München engagiert.

Leo Baerwald, München (Foto: Leo Baerwald Collection, AR 2228 (F 1890), Archives of the Leo Baeck Institute, New York http://search2.cjh.org:1701/permalink/f/1o7aamh/CJH_ALEPH000208876)

In der revolutionären Zeit von 1918 waren die deutlich antisemitischen Tendenzen bedrohlich geworden. Die bürgerlich-konservative Gemeinde sorgte sich auch aufgrund der Tatsache, dass viele der Revolutionäre, allen voran aber Kurst Eisner, jüdischer Herkunft waren. Anfang der 1920er Jahre kündigte sich die Radikalisierung der antisemitischen Gewalt in München an. Baerwald suchte den Dialog und besuchte gemeinsam mit einigen jüdischen Begleitern eine NSDAP Veranstaltung. Er wurde niedergebrüllt, seine Begleiter misshandelt. Immer häufiger kam es zu antisemitischen Vorfällen, die Synagoge wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, Vorträge Baerwalds gestört, er erhielt Morddrohungen. Während des Hitler-Putsches 1923 wurde Rabbiner Baerwald von Nationalsozialisten aus seiner Wohnung geholt und außerhalb der Stadt an einen Baum gefesselt, mit einem Revolver bedroht, am Ende jedoch wieder freigelassen.

Zur Jahrhundertfeier der Universität München predigte Rabbiner Baerwald. Ausriss aus der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung, 3. Dezember 1926. (Repro: nurinst-archiv)

Die Münchner Hauptsynagoge war bereits vor der Pogromnacht zerstört worden. Am 8. Juni 1938 hatte die Gemeinde den Bescheid erhalten, dass die Synagoge am folgenden Tag abgerissen wird. Rabbiner Leo Baerwald leitete den eilig zusammengestellten Abschiedsgottesdienst, bei dem auch der ehemalige Kantor Emanuel Kirschner sang. Hunderte von Männern und Frauen seien gekommen, um dem Abschied beizuwohnen, darunter auch zahlreiche auswärtige Rabbiner, die gerade in München zu einer Versammlung waren, beschrieb Baerwald das Ereignis später. „Fast alle von ihnen verknüpften mit diesem Gebäude geweihte Erinnerungen an fromme Eltern, an unschuldsvolle Kindheitstage, an Erhebung in Freund und Leid.“

Im Laufe des Novemberpogroms 1938 wurde Baerwald mit Tausenden anderen Münchner Juden verhaftet und im KZ Dachau inhaftiert. Nach seiner Freilassung drängte man ihn zur Emigration. Im März 1940 konnte er mit seiner Familie in die USA auswandern.

In New York sammelte sich eine Gruppe von deutsch-jüdischen Einwanderern um Baerwald, die schließlich gemeinsam mit einer Gruppe um den Nürnberger Rabbiner Isaak Heilbronn die Congregation Beth Hillel gründete. Nach dem Tod von Rabbiner Heilbronn leitete Rabbiner Baerwald die Gemeinde alleine weiter – bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1955. Baerwald bemühte sich, alle jüdischen Richtungen der Gemeinden zu vereinen, so dass Frauen und Männer getrennt saßen und keine Orgel zum Einsatz kam. In einem Nachruf von einem der Gründungsmitglieder von Beth Hillel, Kurt Fleischhacker, heißt es dazu: „Es war eine große Tat, dass er, der er aus einer liberalen Orgel-Gemeinde kam, den veränderten Umständen Rechnung tragend, es verstand, unter einem Dache alle Richtungen vom Liberalismus bis zur Orthodoxie zu vereinigen, was keine leichte Aufgabe war.“

Von 1947 bis 1949 war Leo Baerwald außerdem Präsident der B’nai B’rith in New York. Nachdem er in Pension gegangen war, gehörte er dem Leo-Baeck Institut an und war Vorstandsmitglied der American Federation of Jews from Central Europe.

Seine frühere Heimat ehrte den Rabbiner spät als bedeutende Persönlichkeit des deutschen Judentums insbesondere mit dem Bayerischen Verdienstorden 1965. München zeichnete ihn 1969 außerdem mit der Medaille „München leuchtet“ aus.

Leo Baerwald starb am 8. April 1970 in New York.

Quellen:

Leo Baerwald Collection, Leo Back Institute, https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/784910 (11.03.2024).

Mitteilungsblatt der Congregation Beth Hillel of Washington Heights, New York, Nr. 231, Mai/Juni 1970.

Michael Brenner, Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918–1923, Berlin 2019.

Michael Brocke/Julius Carlebach (Hg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil 2, Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945, Bd. 1, Eintrag Baerwald, Leo, München 2009.