Rabbiner David Max Eichhorn: Gottesdienst auf Hitlers Kanzel

Im April 1945 beteten jüdische Soldaten auf dem NS-Reichsparteitagsgelände

In den Morgenstunden des 20. April 1945, dem 56. und letzten Geburtstag Adolf Hitlers, marschierten US-Truppen in die Stadt der Reichsparteitage ein. Schon am Abend wehten die amerikanischen Flaggen inmitten der Nürnberger Ruinenlandschaft.

Hier, wo Albert Speer seinem Führer einen bombastischen Bau für seinen Größenwahn errichtet hatte, wo bis zu 150.000 brüllende Menschen Hitler zujubelten und Leni Riefenstahl ihre Propagandafilme drehte. Aus der provisorischen Holztribüne war mit einer Länge von 360 und einer Höhe von 20 Metern nach dem Vorbild des antiken Pergamonaltars eine Nazi-Kultstätte entstanden. Oberhalb der Sitzplätze lief eine doppelte Pfeilerreihe über die gesamte Breite, durch die die Tribüne ihre Gesamthöhe von 20 Metern erreichte.
Jetzt hatten die amerikanischen GIs das Reichsparteitagsgelände in ihren Besitz genommen und die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.

Die Siegesfeier der US-Truppen – ein Triumph an der Stätte von Hitlers Parteitagen. (Foto: US National Archives and Records Administration – Public Domain)

Mit der 3. und 45. US-Infanteriedivision kam auch Rabbiner David Max Eichhorn nach Franken. Seit 1942 diente der Militärrabbiner bei den amerikanischen Streitkräften. Der damals 38-Jährige aus Columbia, Pennsylvania, nahm auch an der Befreiung des Nürnberger NS-Lagers STALAG 13 teil. Dort waren Tausende russische, englische und amerikanische Kriegsgefangene eingesperrt gewesen. Die Ersten, die hier inhaftiert worden waren, waren Soldaten aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich, die bei der sogenannten Blitzkrieginvasion von Frankreich 1940 gefangen genommen wurden.
1941 kamen Serben, Polen und Russen nach den Kampfhandlungen an der östlichen Front hinzu. Britische, australische und weitere Soldaten aus dem Commonwealth wurden bei den Kämpfen auf Kreta festgenommen und kamen 1941 in das Lager, das sich immer mehr füllte, je länger der Krieg dauerte. Unter ihnen befand sich 1945 auch eine Gruppe jüdischer Soldaten aus dem damals noch von England verwalteten Palästina. Diese britischen Armeeangehörigen waren 1941 bei den Kämpfen um Griechenland von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen worden.

Am 22. April 1945 nahmen einige der nun befreiten Soldaten am vermutlich ersten jüdischen Gottesdienst im besetzten Nürnberg teil. In seinen Erinnerungen beschreibt Rabbiner Eichhorn, der auch zu den Befreiern des Konzentrationslagers Dachau gehörte, das denkwürdige Ereignis: „Sonntagnachmittag, den 22. April 1945, erreichten zwei amerikanische Jeeps das Reichsparteitagsgelände. Am ersten Fahrzeug prangten zwei weiße Davidsterne. Neben dem Rabbiner saßen sein Assistent und fünf aus dem Gefangenenlager befreite palästinensische Juden.“

Der zweite Wagen war mit weiteren fünf jüdischen Soldaten besetzt; Amerikaner, die an den Kämpfen um Nürnberg teilgenommen hatten. Im überfüllten Jeep des US-Militärkaplans befand sich zudem noch ein Holzkasten mit einer Thorarolle.
Langsam näherte sich die kleine Wagenkolonne der Zeppelin-Tribüne. „Ich stoppte den Jeep vor der Rednerkanzel, über der ein glänzendes, mit Blattgold überzogenes Hakenkreuz angebracht war“, berichtet David M. Eichhorn. Die Soldaten stiegen aus ihren Fahrzeugen, bildeten eine Ehrenformation und trugen die Thorarolle auf die Rednerplattform. Genau an dem Platz, wo Hitler mit seinen Hasstiraden den Weg in den Holocaust vorbereitet hatte, las der Rabbiner aus der Heiligen Schrift und zelebrierte einen jüdischen Gottesdienst.

Rabbiner Eichhorn mit Thora auf der Tribüne am Reichsparteitagsgelände. (Foto: American Jewish Historical Society)

Nachdem Lieder und Gebete verklungen waren, fassten sich die amerikanischen und die Juden aus Erez Israel an den Händen und formten einen Kreis um den Rabbiner und die Thorarolle. „Wir versprachen uns“, so erinnert sich David M. Eichhorn, „nicht eher zu ruhen, bis der Tyrann Hitler endgültig zerschmettert wäre und das Volk Israel einen eigenen Staat in Palästina gegründet hätte.“
Etwas später marschierten Einheiten der 3. und 45. US-Division auf das Reichsparteitagsgelände. In einer Ansprache beglückwünschte der Kommandeur der 7. amerikanischen Armee, General Alexander M. Patch, seine Soldaten und zeichnete einige der Männer mit der höchsten Tapferkeitsmedaille aus.

Zum Abschluss der Siegesfeier legten GIs eine Dynamitladung an das riesige Hakenkreuz und sprengten das verhasste Nazisymbol in die Luft. Die Gefühle der zuschauenden Juden beschreibt Rabbiner Eichhorn so: „Von den Tausenden jubelnden Soldaten war sicherlich keiner emotional so aufgewühlt wie die sieben Amerikaner und die fünf Israelis, die sich um den Jeep mit den aufgemalten Davidsternen drängten.“

Quellen:

Greg Palmer/Mark S. Zaid (Ed.), The GI’s Rabbi. World War II Letters of David Max Eichhorn, Lawrence (Kansas) 2004.

Alex Grobman, Rekindling the Flame. American Jewish Chaplains and the Survivors of European Jewry 1944–1948, Detroit 1993.

Dieter Rossmeissl, Demokratie von außen. Amerikanische Militärregierung in Nürnberg 1945–1949, München 1988.