Wie die Nürnberger Lebkuchen nach New York kamen

Jüdische Emigrantenfamilie hatte gewitzte Geschäftsidee

,,Ich kann Ihnen sofort erklären, was richtige Nürnberger Elisen Lebkuchen sind“, erzählt William C. Freund. Jahrzehnte war der emeritierte Professor an der New Yorker Börse tätig; und viele Jahre unterrichtete er an der Pace University Wirtschaftswissenschaften. William Freund spricht ein fast akzentfreies Deutsch. Fast, denn für den aufmerksamen Zuhörer ist eine leicht fränkische Sprachfärbung nicht zu überhören.

Kurt Wilhelm Freund wurde am 4. September 1926 in Nürnberg geboren. Seine Eltern, die Kaufleute Hugo und Paula Freund, gehörten zu den angesehenen Bürgern der Stadt. Die Nationalsozialisten beendeten die bürgerliche Existenz der jüdischen Familie jedoch jäh. Verfolgung, soziale Ausgrenzung und politische Entrechtung bestimmten den Alltag. ,,Meinen Eltern war klar, dass es in Deutschland keine Zukunft mehr für uns gab“, sagt William. Er war damals elf Jahre alt.

Im Herbst 1937 erhielt die Familie die lebensrettende Einreisegenehmigung in die USA. Nur etwas Hausrat, sieben Dollar in bar und die Kleider, die man am Leib trug, durften mitgenommen werden. Unbemerkt konnte die Nürnberger Kaufmannsfamilie jedoch etwas sehr Wertvolles mit auf den Weg ins Exil nehmen. ,,Meine Mutter Paula hatte eine brillante Idee – wir backen Nürnberger Lebkuchen“, erinnert sich Freund.

Ein Bäckermeister der Lebküchnerei Haeberlein-Metzger verriet gegen Bezahlung das seit vielen Jahrhunderten gehütete Geheimrezept und gab Paula Freund heimlich Backstunden. Nach wenigen Wochen intensiven Unterrichts in der eigenen Küche beherrschte die jüdische Hausfrau perfekt die Kunst des Lebkuchenbackens. Angeblich war die Backanleitung aufgeschrieben worden und in einem Bankschließfach hinterlegt, so die Familiengeschichte. „Doch als meine Mutter starb, haben wir nachgeschaut, das Fach war leer“, berichtet Sohn William. Da es zu gefährlich war, das Rezept in schriftlicher Form außer Landes zu bringen, hatte Paula Freund die Zubereitung und die exakte Zusammensetzung der Spezialität nämlich auswendig gelernt. „In den Kopf kann niemand hineinschauen“, freut sich William auch noch nach Jahrzehnten über die Chuzpe seiner Mutter.

Als die Familie im September 1937 amerikanischen Boden betrat, waren Jobs Mangelware. Die Freunds hatten aber Glück. Sie fanden eine Beschäftigung und vorübergehenden Unterschlupf bei Verwandten. Wahrend der Familienvater als Leichenwäscher arbeitete, montierte seine Frau Lippenstifte im Akkord. Auch der kleine William trug zum Familieneinkommen bei: Mit einer selbstgezimmerten Holzkiste – gefüllt mit Schuhwichse und diversen Bürsten – streifte er durch die Straßen von New York.

Schon bald konnte sich die Familie eine eigene Wohnung im New Yorker Stadtviertel Washington Heights mieten. Hier wohnten fast ausschließlich deutsche Emigranten: Es gab deutsche Bäcker und Metzger, deutsche Zeitungen und auf den Straßen und in den Cafés wurde natürlich Deutsch gesprochen. Die Amerikaner nannten deshalb diesen Teil von Manhattan auch scherzhaft das „Vierte Reich“. Paula Freund backte nach Feierabend und am Wochenende in der Wohnung Lebkuchen und verkaufte sie an Freunde und Bekannte.

Hugo und Paula Freund vor ihrem Laden in Washington Heights (Repro: nurinst-archiv – Sammlung Bill Freund).

Nach kurzer Zeit konnte ihre Küchenproduktion der steigenden Nachfrage nicht mehr gerecht werden. Die Freunds mieteten 1938 in der St. Nicholas Avenue Gewerberäume an. Die ganze Familie arbeitete nun im eigenen Geschäft mit: William und seine Schwester Margot standen hinter der Ladentheke, Vater Hugo kümmerte sich um den Vertrieb. Im Dezember 1939 veröffentlichte die New Yorker Zeitung Herald Tribune eine große Reportage über die geschäftstüchtigen Einwanderer. Der Bericht machte Paula Freunds Lebkuchen bis weit über die Grenzen der Metropole hinaus bekannt.

Visitenkarte von „Paula’s berühmter Lebkuchen Feinbäckerei“ (Repro: nurinst-archiv – Sammlung Bill Freund).

Bis Anfang der 1950er-Jahre fabrizierte sie Original Nürnberger Lebkuchen. Dann verkauften die Freunds die Bäckerei. „Heute könnte ich keine Lebkuchen mehr backen“, sagt William Freund verschmitzt „die Nürnberger Lebkuchen Produzenten haben also nichts von mir zu befürchten“. Nürnberger Lebkuchen sind in New York jedoch immer noch erhältlich. Allerdings werden die Leckereien nicht mehr von deutschen Emigranten gebacken. Nürnberger Hersteller beliefern die Geschäfte in der Millionenstadt. Die kleine Lebkuchen-Bäckerei der deutsch-jüdischen Familie blieb jedoch vielen New Yorkern
noch lange im Gedächtnis. Über Jahrzehnte hinweg wurde William Freund oft gefragt: ,,Sind Sie nicht der Sohn von Paula – Paula‘s Lebkuchen?“ Doch diese Zeiten sind längst vorbei, denn es gibt nur noch wenige, die sich daran erinnern können, wie die Lebkuchen nach New York kamen.

Quellen:

Jim G. Tobias „… und wir waren Deutsche!“ Jüdische Emigranten erinnern sich, Nürnberg 2009.

Jim G. Tobias, Paulas Nürnberger Lebkuchen – Made in the USA, TV-Feature.

Paulas Nürnberger Lebkuchen – Made in the USA

William Freund, Interview, Nürnberger Videoarchiv der Erinnerung.
https://www.nuernberger-videoarchiv.de/William-Freund.html