Jack Steinberger – der Physiker

Ein Nobelpreisträger aus Unterfranken

Jack (Hans Jakob) Steinberger wurde am 25. Mai 1921 als zweites von drei Kindern des Kantors und Religionslehrers Ludwig Steinberger (1874–1957) und dessen Frau Berta May (1892–1973) in Bad Kissingen geboren.
Nach der Grundschule besuchte Hans Jakob von 1931 bis 1934 die Bad Kissinger Oberschule, die heute seinen Namen trägt, mit sehr gutem Erfolg. Bereits im März 1933 sah sich die Familie Steinberger den antisemitischen Repressionen des NS-Regimes ausgesetzt: Ihre Wohnung wurde durchsucht, ihre Telefongespräche abgehört und eine Brief- und Telegrammsperre verhängt. Unter dem Eindruck der immer bedrohlicher werdenden politischen Lage in Deutschland entschlossen sich Ludwig und Berta Steinberger schweren Herzens, wenigstens ihre beiden ältesten Söhne Hans und Herbert 1934 mit einem Kindertransport nach Amerika zu schicken und sie so in Sicherheit zu bringen. Sie selbst konnten sie nicht begleiten, da sie sich um Bertas betagte, kranke Mutter kümmern mussten, ihr jüngster Sohn noch zu klein war und sie die notwendigen Affidavit für die Einwanderung nicht bekamen.

Herbert, Rudolph und Jack Steinberger im Garten der Synagoge, 1929. (Foto: Sammlung Elizabeth Steinberger)

In New York verbrachten Jack und Herbert Steinberger die ersten Monate in einem jüdischen Waisenhaus, ehe sie auf zwei verschiedene Pflegefamilien in Chicago verteilt wurden. Jacks Pflegevater, der wohlhabende Kornhändler Barnett Faroll (1882–1954), kümmerte sich auch nach dem frühen Tod seiner Frau um die Ausbildung seines Pflegesohns. So ermöglichte er ihm etwa den Besuch der renommierten New Trier Township High School, an dem Jack Steinberger 1938 sein Abitur machte. Als Jacks Eltern nach dem Tod von Bertas Mutter zu ihren Söhnen nach Amerika auswandern wollten, übernahm er die Kosten für das notwendige Affidavit für sie und ihren jüngsten Sohn, so dass sie im Mai 1937 nach Chicago kommen konnten. Da der 63-jährige Ludwig Steinberger aufgrund seines Alters keine Anstellung als Kantor fand, eröffneten er und seine Frau ein kleines jüdisches Delikatessengeschäft. 1952 setzten sie sich zur Ruhe und zogen nach New York City. Ludwig starb 1957 mit 83 Jahren, seine Frau Berta 1973 mit 80 Jahren.

Jack Steinberger hätte gerne Medizin studiert, entschied sich aber aus finanziellen Gründen für das kürzere Studium der Chemie. Mit Hilfe eines Stipendiums konnte er 1942 seine akademische Ausbildung in Chicago erfolgreich abschließen. Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg meldete er sich zum Militär, wo er am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge an der Entwicklung eines neuen Radarsystems für Bomber mitarbeitete, was er später sehr kritisch sah. Die Arbeit am MIT war Jack Steinbergers erster Kontakt mit der Physik, von der er sofort fasziniert war. Und so entschloss er sich, an der Universität Chicago Physik zu studieren. Bei Enrico Fermi, den er als Mensch und Wissenschaftler sehr schätzte, schrieb er 1948 seine Doktorarbeit, in der er nachweisen konnte, dass Myonen entgegen der herrschenden Meinung in drei Bestandteile (einem Elektron und zwei Neutrinos) zerfielen. 1949 nahm er das Angebot des italienischen Physikers Gian Carlo Wick an, als dessen Assistent an die Universität Berkeley zu gehen. Als Wick und er 1950 aufgefordert wurden, eine Anti-Kommunisten-Erklärung zu unterschreiben, verweigerten sie dies und verloren deshalb ihre Stellen.

Steinbergers Rückgrat zahlte sich aber letztlich aus: 1953 wurde er als Professor für Physik an die New Yorker Columbia-Universität berufen. Doch durfte er auf Betreiben des FBI, das ihn seit seiner Unterstützung für Franklin D. Roosevelt als linken Intellektuellen im Visier hatte, nicht an dem dortigen Teilchenbeschleuniger arbeiten. 1955 wurde dieses Verbot dann endlich aufgehoben. Und so konnte er 1962 zusammen mit Leon M. Ledermann und Melvin Schwartz jenes berühmte Experiment durchführen, für das sie 26 Jahre später den Physik-Nobelpreis erhalten sollten. Es führte zur Entdeckung eines neuen Elementarteilchens und einer neuen Theorie über den Aufbau der Materie.

1968 folgte er einem Ruf an das Europäische Laboratorium für Elementarteilchen (CERN) in Genf, wo er eine Reihe bedeutender Experimente durchführte und den Aufbau des neuen Teilchenbeschleunigers „Aleph“ maßgeblich betreute. Nachdem er 1986 in den Ruhestand verabschiedet worden war, lehrte er eine Zeitlang als Teilzeitprofessor an der Scuola Normale Superiore in Pisa. 1988 erhielten Steinberger und seine beiden Kollegen den Nobelpreis für Physik verliehen.

Verleihung des Nobelpreises durch König Karl Gustav, 1988. (Foto: Sammlung Jack Steinberger)

Im selben Jahr wurde er für seine wissenschaftliche Leistungen auch mit der „National Medal of Science“ ausgezeichnet. Ein Jahr später luden seine ehemalige Schule und die Stadt Bad Kissingen ihn und seine Familie ein, womit ein äußerst intensiver Kontakt zu seiner Geburtsstadt seinen Anfang nahm. Anfang November 2001 wurde das Kissinger Gymnasium aus Anlass Jack Steinbergers 80. Geburtstag in seinem Beisein nach ihm benannt. Fünf Jahre später verlieh ihm die Stadt Bad Kissingen die Ehrenbürgerwürde. In seinen letzten Jahren beschäftigte er sich mit Kosmologie und setzte sich mit Nachdruck für die Solarthermie ein, in der er die einzige Möglichkeit sah, die Klimakatastrophe noch erfolgreich abzuwenden. Über Jahrzehnte hinweg engagierte sich der politisch denkende Physiker zudem für die atomare Abrüstung.
Jack Steinberger starb am 12. Dezember 2020 in seinem Haus in Onex (Genf) im Kreis seiner Familie. – (Hans-Jürgen Beck)

Quellen:

Hans-Jürgen Beck, „Kissingen war unsere Heimat über Jahrhunderte …“ Eine Chronik jüdischen Lebens in Bad Kissingen, 2022.

https://www.badkissingen.de/stadt/geschichtliches/juedisches-leben/chronik-juedischen-lebens-bad-kissingen

Rudolf Walter, Jack Steinberger. Vom Kantorensohn zum Nobelpreisträger, Bad Kissingen 2017.