Michael Schneeberger – Der Spurenfinder und das jüdische Erbe in Bayern

Er war eine schillernde Figur, die das Leben in seinen Extremen erfahren hat: intellektuell und doch in der Schule gescheitert, chronisch krank und ein zäher Kämpfer, ein Sinnsucher und sensibler Spurenfinder – und der letzte Jude von Kitzingen. Früh schon spürte er die Verlogenheit einer Gesellschaft, die nach der Verfolgung und Ermordung ihrer Juden schnell zur Tagesordnung überging. Er wollte es nicht zulassen, dass die Spuren der jüdischen Menschen endgültig ausgelöscht wurden. Und fand Mitstreiter, die er als Lehrer und Mahner inspirierte.

Diese Rolle als seine anzunehmen brauchte jedoch viele Jahre. Michael Schneeberger wurde Jude und machte das fränkische und bayerische Judentum zu seinem Lebensinhalt. Er forschte zu jüdischen Familien und Gemeinden in ganz Bayern, mit einem regionalen Schwerpunkt in Franken. Vielen Familien half er, ihre Wurzeln zu finden. Die Erinnerung an die Kitzinger Gemeinde und die auf dem jüdischen Friedhof in Rödelsee bestatteten Familien lag ihm besonders am Herzen.

Am 6. April 1949 war Michael Schneeberger in Kitzingen geboren worden. Seine Familie mit insgesamt sieben Kindern war evangelisch, aber nicht sehr religiös. Bereits als Schüler begann der sensible Junge Fragen zu stellen. Was war in Kitzingen zwischen 1933 und 1945 geschehen? Wer trug Schuld am Verschwinden der Kitzinger Juden? Aber niemand wollte ihm antworten. So begann er selbst den Spuren nachzuforschen. Er lernte Hebräisch und suchte den Kontakt zur Jüdischen Gemeinde in Würzburg.

Mit etwa 20 Jahren dachte Michael Schneeberger über eine Konversion zum Judentum, eine Emigration nach Israel und ein Leben im Kibbuz nach. Große Zweifel plagten ihn, er durchlebte eine schwere Krise und fühlte sich heimatlos. Erst zehn Jahre später fand er Gewissheit. Er reiste 1982 nach Israel und studierte die jüdische Religion. Nach weiteren Aufenthalten dort beschloss er 1985, endgültig nach Israel zu ziehen. – Es kam jedoch anders. Michael Schneeberger versagten die Nieren. Da seine Krankenversicherung die Dialyse-Behandlungen in Israel nicht bezahlte, musste er in Deutschland bleiben. So vollzog er den Übertritt zum Judentum schließlich 1986 in München. Eine Nierentransplantation 1987 erlaubte ihm immerhin wieder das Reisen.

Rabbiner Ebert mit Michael Schneeberger bei der Thora-Lesung in der Synagoge in Würzburg, um 2005. (Foto: IKG Würzburg)

In Kitzingen versuchte Schneeberger nun, ein gesetzestreues Leben zu führen. Das Leben als Jude in Deutschland empfand er allerdings oft als kompliziert. Er wurde zu einem der engagiertesten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Würzburg. Seit es dort einen Rabbiner gab, hat er eng mit ihm zusammen gearbeitet.

Als aktives Gründungsmitglied des „Fördervereins ehemalige Synagoge Kitzingen“ sah Schneeberger seine Rolle vor allem in der Erforschung der jüdischen Familien der Stadt. Daraus ging nach vielen Jahren der Recherche das Gedenkbuch „Yiskor“ hervor. In Ausstellungen, mit Führungen und in Vorträgen hatte er von Anfang an sein Wissen in die Öffentlichkeit getragen. Er prägte die Arbeit des Fördervereins maßgeblich. Eng arbeitete er mit Gisela Bamberg, Elmar Schwinger und der langjährigen Vorsitzenden Dagmar Voßkühler zusammen.

Michael Schneeberger führt eine Schulklasse auf dem jüdischen Friedhof Rödelsee, 2014. (Foto: Werner Kappelmann)

Den Spuren der jüdischen Kitzinger ging Schneeberger auch auf dem Friedhof in Rödelsee nach – ebenso wie denen der Mitglieder umliegender Gemeinden. Höhepunkt seiner Beschäftigung mit dem Friedhof wurde die Ausstellung, in der Christian Reuther die Vergänglichkeit der Steine ins rechte Licht rückte und Schneeberger die Menschen vorstellte, für die sie gesetzt worden waren.

Informationen zu Menschen und Gemeinden in ganz Bayern recherchierte Michael Schneeberger in in- und ausländischen Archiven. Sie sind in 339 Mappen zu Familien und 155 Mappen zu Gemeinden gesammelt. Aus dem Material erstellte er Konvolute mit Stammbäumen und Quellenkopien oder detaillierte Auflistungen der Quellenfunde, seine „Findbücher“. Sie liegen für 37 Familien und für 30 Gemeinden gebunden vor. Er verschickte sie an die Nachkommen. Denn vielen seiner Recherchen lagen direkte Kontakte mit den jeweiligen Familien zugrunde. In dem Magazin „Jüdisches Leben in Bayern“ veröffentlichte er eine Artikelserie zu den jüdischen Landgemeinden in Bayern.

Seine Arbeit machte Schneeberger bekannt. Er wurde zu Vorträgen eingeladen, verfasste Artikel und war ein gefragter Experte für jüdische Religion und Genealogie. Dass er kaum Geld mit seiner Arbeit verdiente, nahm er in Kauf. Er kam mit wenig aus, Familie und Freunde unterstützten ihn. In den letzten Jahren verschlimmerte sich sein Gesundheitszustand. Gleichwohl hat er sich in seinem Schaffen nicht beirren lassen. Doch am 13. Oktober 2014 verlor Michael Schneeberger den Kampf gegen seinen kranken Körper.

Seine umfangreiche Sammlung vermachte er der Jüdischen Gemeinde Würzburg, die sie direkt an das Johanna-Stahl-Zentrum im gleichen Haus stiftete. In Würdigung der Verdienste Schneebergers zeigte das Zentrum in Kooperation mit dem Förderverein Ehemalige Synagoge Kitzingen am Main e.V. 2019 und 2020 eine Ausstellung über den „Spurenfinder – Michael Schneeberger und das jüdische Erbe in Bayern (1949-2014)“. – (Rotraud Ries)

Quellen:

Christian Reuther/Michael Schneeberger, Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen. Ein jüdischer Friedhof in Deutschland. Lehrstücke und Lesarten zum Jüdischen Friedhof Rödelsee, seiner Geschichte und seinen Menschen, Berlin 1994.

Michael Schneeberger, Gedenkbuch Kitzingen – Yiskor. Zum Gedenken an die in der Schoah ermordeten Kitzinger Juden. Unter Mitarbeit von Christian Reuther und Elmar Schwinger, Kitzingen 2011.

Michael Schneeberger, Jüdische Landgemeinden in Bayern, Nr. 1 – 37, in: Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Heft 88 (2002) bis Heft 125 (2014).