Rahel Straus – Ärztin, Frauenrechtlerin und Zionistin

Rahel Straus studierte als erste Frau an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. Ihr Lebensweg führte sie später nach Jerusalem, doch ein prägender Teil ihres Lebens ist mit München verbunden.

Rahel wurde am 21. März 1880 als Tochter des Rabbiners Gabor Goitein und seiner Frau Ida in Karlsruhe geboren. Der Vater starb, als Rahel drei Jahre alt war. Rabbiner Goitein hatte sieben Jahre lang die orthodoxe Austrittsgemeinde der Stadt geleitet. Rahels Mutter erzog ihre Kinder in diesem Sinne, auch nach dem Tod des Vaters: orthodox, jedoch mit moderner jüdischer und allgemeiner Ausbildung. Rahel besuchte zunächst die höhere Mädchenschule sowie das Lessing-Gymnasium der Stadt, das 1893 als erstes Mädchengymnasium Deutschlands eröffnet wurde. Nach dem Abitur begann sie ein Studium an der Universität Heidelberg, zuerst als Gasthörerin an der Philosophischen Fakultät, bevor sie sich als erste Frau an der Medizinischen Fakultät immatrikulieren konnte.

Rahel Goitein als Medizinstudentin um 1905. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Rahel_Straus#/media/Datei:Rahel_straus_1905.jpg)

Bis zu ihrem Examen im Jahr 1905 musste Rahel Goitein viele Vorurteile und Hindernisse überwinden, die ihr als Frau in den Weg gelegt wurden. Im selben Jahr heiratete sie ihren Jugendfreund, den Zionisten und Rechtsanwalt Elias Straus. In dieser Zeit promovierte Rahel Straus an der örtlichen Universität, erhielt 1907 den Doktortitel sowie die Approbation. Nach verschiedenen Stationen in Münchner Kliniken eröffnete sie „als dritte Ärztin in München“ eine eigene Praxis und arbeitete als zugelassene gynäkologische Kassenärztin bis zum Jahr 1933. In den ersten beiden Jahren kamen nur zögerlich Patienten zu ihr, zu groß waren die Vorbehalte gegen eine Ärztin. Aber die Praxis wuchs und damit auch der Spagat zwischen Arbeit und Familie. Denn neben der Arbeit, die keine finanzielle Notwendigkeit war, sondern die bewusste Entscheidung einer ehrgeizigen und engagierten Persönlichkeit, führte Rahel Straus den koscheren Haushalt und kümmerte sich um die fünf Kinder, die das Paar bekam.

München war für Rahel Straus ein großes Glück. Nach der Hochzeitsreise, die das Paar in Italien verbracht hatte, liebte sie die Museen der Stadt und den leuchtend blauen Himmel darüber. „Jeder Spaziergang durch München war ein Genuß. Jede Straße, das fiel mir besonders auf, hatte einen reizvollen Abschluß“, erinnerte sie sich Jahre später in ihrer Autobiografie. Ausführlich beschrieb sie darin, wie allgegenwärtig in Oberbayern Wegkreuze, Kirchen und Prozessionen waren. München als Mittelpunkt des oberbayerischen Lebens brachte für sie Kunst und Kultur mit den Wurzeln des Volkes zusammen. Und mehr noch: „selbst die orthodoxesten Juden waren davon angesteckt, waren, ich möchte fast sagen, katholisch beeinflußt. Es war mir neu und ungewohnt, in den frömmsten Häusern die Begeisterung für den Simplizissimus zu sehen oder für jede Frivolität, wenn sie im künstlerischen Kleid auftrat.“ Dieses Judentum sei „meilenweit entfernt von dem des Schwiegervaters, aber auch fern noch von dem viel lebensaufgeschlosseneren meiner Mutter. Es war neu und verwirrend, schön und beglückend, und wir genossen das Leben Münchens gemeinsam und fühlten uns wohl dabei.“

Ehemann Eli Straus wurde wie seine Frau in Karlsruhe geboren, doch seine Mutter, eine geborene Feuchtwanger, stammte aus München. Gemeinsam mit Dr. Sigbert Feuchtwanger führte er eine Kanzlei, zunächst in der Residenzstraße, später in der Dienerstraße. Ab 1919 war Eli Straus in der Gemeindevertretung der Münchner Kultusgemeinde vertreten, engagierte sich in weiteren Fachausschüssen und wurde mit der Leitung des Wohlfahrts- und Jugendamtes betraut. Eli Straus war außerdem lange Jahre Leiter der zionistischen Ortsgruppe Münchens, die er auch im Gemeindevorstand vertrat.

Neben ihren beruflichen Tätigkeiten engagierte sich Rahel Straus in Frauenvereinen, wo sie für das allgemeine Wahlrecht kämpfte und sich im Bereich der Aufklärung im Gesundheitsbereich stark machte. Aber auch in jüdischen Vereinen war sie stark engagiert. Sie organisierte und leitete verschiedene zionistische Gruppen in der Stadt und war in führender Position im „Jüdischen Frauenbund“ aktiv.

Das Jahr 1933 brachte neben der wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten einen weiteren schweren Schicksalsschlag mit sich: Ehemann Elias erkrankte an Krebs und verstarb im Juni des selben Jahres. Der Verlust ihres Partners, sowie der zunehmende Boykott ihrer Arztpraxis führten zur Entscheidung, Deutschland zu verlassen. „Dass es nur Palästina sein konnte, war für mich keinen Augenblick zweifelhaft. Das einzige Land, das Heimat werden konnte, wenn man die angeborene Heimat verließ, war Erez Israel“, schreibt sie in ihren Erinnerungen. „Wäre ich nicht mein ganzes Leben lang Zionistin gewesen, so wäre ich, wie so viele andere, wohl doch der Verlockung erlegen, mich irgendwo in Europa anzusiedeln. Aber zu viel Schlimmes hatte ich seit Hitlers Machtergreifung schon gesehen, und viel Schlimmes, das wusste ich, würde noch kommen.“ Im Herbst 1933 emigrierten die Witwe und ihre Kinder über die Schweiz und Italien nach Palästina.

Dr. Rahel Straus erhielt von den britischen Behörden eine Lizenz, die ihr ermöglichte, in Jerusalem eine Praxis zu eröffnen, die sie bis 1940 weiterführte. In diesem Jahr beendete sie ihre medizinische Arbeit und engagierte sich fortan in der Wohlfahrtspflege. Da sie ein Großteil ihres Vermögens aus Deutschland hatte mitnehmen können, richtete sie Kochkurse sowie eine öffentliche Küche ein und initiierte eine Altkleidersammlung für mittellose jüdische Neueinwanderer. Daneben wurde ihr Haus zu einem Treffpunkt für politisch und kulturell Interessierte, die bei Vorträgen und Gesprächsrunden aktuelle Themen diskutierten.

Nach der Proklamation des Staates Israel führte Rahel Straus ihre sozialfürsorgerische Arbeit fort; sie gehörte zu den Gründern von „AKIM –Association for the Habilitation of the Intellectually Disabled“, deren Jerusalemer Sonderschule noch heute ihren Namen trägt: Beit Rahel Straus. Zudem betätigte sie sich politisch in der „Womens International League for Peace and Freedom“, deren Vorsitz sie übernahm und war aktives Mitglied in einer Organisation für Akademikerinnen und Ärztinnen.

Nach einem erfüllten Leben starb Rahel Straus kurz nach ihrem 83. Geburtstag im Mai 1963. Sie hinterließ einen umfassenden autobiografischen Text über ihr Leben in Deutschland sowie ein in Israel sehr populäres Kinderbuch in hebräischer Sprache.

Quellen:

Rahel Straus, Wir lebten in Deutschland. Erinnerungen einer deutschen Jüdin, Stuttgart 1961.

Marita Krauss, Ein voll erfülltes Frauenleben. Die Ärztin, Mutter und Zionistin Rahel Straus, in: Hiltrud Häntzschel (Hg.), Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997.

Jewish Women’s Archive, https://jwa.org/encyclopedia/article/straus-rahel.